Icarus
Erscheinung. Und daß sie tatsächlich einer harmlosen Frage einen unangenehm intimen Charakter verleihen konnte. »Und kann ich Sie Eva nennen?«
»Eve. So nennt mich mein Mann. So hat Kid mich genannt. Er liebte den Klang. Er dachte, es klänge dann so … verführerisch.«
Während er mit ihr am Tisch saß, so dicht, daß er sie riechen konnte – nicht nur den schwachen Hauch ihres nicht allzu süßen Parfüms, sondern den Odem der Sexualität, den sie verströmte –, war Jack sich der außergewöhnlichen Wildheit dieser Frau noch mehr bewußt. Sie hatte etwas geradezu Raubkatzenhaftes an sich. Selbst wenn sie still da saß, wirkte sie wie eine Wildkatze: nie ganz domestiziert, aber auch nicht mehr frei durch den Dschungel streifend, und sich ganz gewiß ständig bewußt, daß die Leute sie beobachteten – und darüber nachdachten, wie sie sie vielleicht einfangen könnten.
»So«, sagte sie. »Fragen Sie, oder erzählen Sie?«
»Beides, glaube ich.«
»Was zuerst?«
»Ich erzähle.«
Sie rutschte leicht auf ihrem Platz hin und her, und ihr Bein berührte Jack. Er glaubte nicht, daß es rein zufällig geschah. Und er fand die Berührung aufregend. Sie ließ eine elektrische Ladung durch seine Wirbelsäule schießen. Das ist verrückt, dachte er. Ich bin schon früher mit schönen Frauen zusammen gewesen. Frauen, die noch schöner waren als diese Frau. Caroline war schöner als diese Frau …
Aber da ist irgend etwas an ihr. Etwas, das ich noch nie bei jemandem gesehen habe.
Eve ist ein durchaus passender Name. Sie scheint wirklich fähig zu sein, den Garten Eden durch ihre direkte Nähe in eine Wüste zu verwandeln.
»Sie sind Joe Migliarinis Ehefrau«, begann er. Er wollte reden, damit er nicht daran denken mußte, welche Empfindungen sie in ihm weckte.
»›Joe‹, haben Sie gesagt?« Ihre Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln, obgleich ihre Stimme völlig neutral klang. »Kennen Sie ihn?«
»Man kann in New York kein Restaurant betreiben, ohne ihn zu kennen«, sagte er. »Ich würde nicht gerade behaupten, daß wir gute Bekannte sind, aber wir kennen uns.«
»Ich werde ihm heute abend beim Essen Ihre Grüße ausrichten.«
»Ich wußte gar nicht, daß Sie in einem solchen Umfang an seinen Geschäften beteiligt sind.«
»Bin ich das?« fragte sie.
»Offensichtlich. Nicht an der Spedition oder der Betonherstellung, zumindest konnte ich nichts in dieser Richtung herausfinden. Aber Sie sind im Wäschereibereich tätig und leiten die Beerdigungsunternehmen offenbar ganz allein. Er hat sie Ihnen vor fünf Jahren übertragen.«
»Ja. Sie sind sehr profitabel.« Ihre Lippen verzogen sich leicht. Man konnte das weiße Leuchten ihrer Zähne sehen. »Mir macht das Geschäft Spaß. Ich bin gut darin.«
»Ich würde sogar sagen, sehr gut. Sie sind wahrscheinlich die mächtigste Frau in der Geschichte des organisierten Verbrechens.«
»Oh, ich bitte Sie«, sagte sie, aber der Protest, sogar der ungehaltene Tonfall, war künstlich, es steckte keine Überzeugung dahinter. »Wir arbeiten hundertprozentig legal. Ich versichere Ihnen, daß mein Arbeitstag um vieles langweiliger ist als der jedes anderen Menschen, den Sie kennen.«
»Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht beleidigen. Diese beiden Mitarbeiter von Ihnen, die ich heute kennenlernen durfte – in welchem Bereich sind sie tätig? Personalfragen? Public Relations?«
Ihre Beine bewegten sich wieder unterm Tisch. Abermals berührte sie ihn, und es verschlug ihm auch diesmal fast den Atem. »Das war ein kleiner Fehler, und ich entschuldige mich dafür. Sie neigen dazu, ein wenig zu übertreiben, wenn es darum geht, mich zu beschützen. Aber so viel will ich Ihnen verraten, Jack, da Sie unglücklicherweise einen Blick hinter die Kulissen haben werfen können: Ich verdiene für meinen Mann eine Menge Geld, und das in Bereichen, denen vorher nur wenig Beachtung geschenkt wurde. Meine Geschäfte haben einen außerordentlichen Cash-flow, der für uns sehr wichtig ist. Und mit diesem Geld bin ich um einiges vertrauenswürdiger als viele andere Leute, die mein Mann hätte einstellen können.«
»Herzlichen Glückwunsch. Sie sind damit die Martha Stewart des Bestattungsgeschäfts.«
»Ich muß zugeben, daß dieses Geschäft einen ganz besonderen Reiz auf mich ausübt.«
»Ein hübscher Name. Grave Enterprises.«
»Vielen Dank. Die meisten Leute im Geschäft meines Mannes haben keinen besonderen Sinn für Humor. Ich dachte, das wäre
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