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Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
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auf die Knie. Ehe er irgendeine Bewegung ausführen konnte, hielt Jack ein weiteres loderndes Streichholz in der Hand.
    So harrten sie aus, bis Jack Schritte im Flur hörte. Dann öffnete sich die Tür zur Leichenhalle, und eine dunkelhaarige Frau in einem kurzen schwarzen Kleid und hochhakkigen Schuhen kam hereingeschritten. Sie trug keinerlei Schmuck bis auf einen Trauring mit einem prachtvollen Brillanten und eine antike goldene Taschenuhr, die sie sich an einer schwarzen Seidenschnur um den Hals gehängt hatte. Jack nahm erschrocken zur Kenntnis, wie attraktiv sie war. Als sie den Raum betrat, konnte er das Muskelspiel ihrer Beine von den halben Oberschenkeln bis hinunter zu den Waden beobachten. Ihre Arme waren ebenfalls muskulös, schlank und elegant, ihre Haut tiefbraun, aber dabei glatt und absolut ohne irgendeine Falte oder Linie. Ihre Brüste unter dem engen Kleid wirkten klein, aber makellos geformt. Ihre Augen schimmerten kohlrabenschwarz, ein tiefes und unwiderstehliches Geheimnis lag darin, als ob sie ihr eigenes kleines Universum wären. Sie sah aus wie Ende Dreißig, aber Jack wußte aus seiner Lektüre, daß sie fast zehn Jahre älter war als er. Während er sie betrachtete, konnte er Kids Worte hören:
    Sie sind physisch fast perfekte Vertreterinnen der menschlichen Rasse. Es ist nicht nur ihr Aussehen. Sie sind sinnlich. Sie sind hungrig. Sie wollen Dinge, ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben soll, und dieses Wollen ist geradezu übermächtig.
    Er begriff es endlich. Sie war überwältigend. Eins fünfundsechzig höchstens. Ihre Brust hob und senkte sich ein wenig zu schnell, das einzige Zeichen, daß sie nicht die vollständige Kontrolle über diese Situation hatte. Ihre Lippen waren schmal und von einem intensiven, geheimnisvollen Rot, ihr Haar war kräftig und voll und wallte auf ihre Schultern herab. Jack zwang sich, den Blick abzuwenden, nur für einen kurzen Moment, um den Bann zu brechen.
    »Dreh dich um«, sagte er zu dem Schläger, der noch immer kniete.
    Der Mann rutschte herum, bis er Jack ansah. Jack zündete ein weiteres Streichholz an, hielt es an die Ecke des Briefchens und setzte das gesamte Päckchen in Brand.
    »Sagen Sie mir etwas, das mir gefallen könnte«, meinte er zu Eva Migliarini alias Die Totengräberin. »Und zwar schnell!«
    Sie wartete gerade lange genug, so daß Jack befürchtete, es würde ihr nichts ausmachen, wenn er ihn anzünden würde. Vielleicht würde es ihr sogar gefallen. Dann lächelte sie knapp und sagte: »Darf ich Sie zum Mittagessen einladen, Mr. Keller?«
    Jack nickte, blickte auf den zusammengekauerten Mann auf dem Boden und blies die kleine Flamme aus, die soeben begann, seine Fingerspitzen zu erwärmen.
    »Sie dürfen«, erwiderte er einigermaßen verblüfft.
    Sie gingen ins Jo-Jo’s, ein französisches Bistro nicht allzu weit entfernt, und sie bestand darauf, daß ihr Chauffeur sie hinbrachte. Auf dem Rücksitz der Limousine unternahm Eva Migliarini keinen Versuch, eine Unterhaltung zu beginnen. Sie saß da – genaugenommen lag sie da wie hingegossen -und blickte aus dem Fenster. Gelegentlich schlug sie die Beine übereinander, wobei ihr Kleid auf den makellos gebräunten Oberschenkeln hochrutschte. Einmal bückte sie sich, um sich ausgiebig am Fußknöchel zu kratzen. Dabei rollte der Wagen durch eine Bodenwelle, und sie lehnte sich hilfesuchend an seine Schulter. Sie sah ihn nicht an, als ihre Körper einander berührten, und Jack hatte plötzlich das Gefühl einer bedrückenden, erstickenden Enge. Als wäre er in einer viel zu kleinen Höhle gefangen von einer Schwarzen Witwe, außerordentlich schön, aber auch genauso gefährlich.
    Im Restaurant war der Oberkellner extrem um sie bemüht. Er kannte Jack – in der Restaurant-Szene kannte ihn jeder –, aber er kannte auch Eva und empfing sie mit großer Unterwürfigkeit. Jack sah, daß er genau wußte, wer ihr Ehemann war.
    Sie wartete, bis sie an ihren Platz gebracht worden waren – ein Tisch in einer Nische im ersten Stock – und der Kellner erschienen war, um ihre Bestellungen aufzunehmen, ehe sie Jack direkt in die Augen blickte und sagte: »Ehe wir darüber reden, was Sie wissen, Mr. Keller, oder was Sie zu wissen glauben, möchte ich Sie um etwas bitten, das eine etwas persönlichere Atmosphäre schaffen sollte.« Er nickte, und sie fuhr fort: »Darf ich Sie Jack nennen?«
    Er nickte erneut und dachte dabei, daß ihre Stimme ebenso verlockend war wie ihre äußere

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