Icarus
daß Dom gesehen hatte, daß er sie anlächelte –, umrundete dann den Eßtisch und kam auf Dom zu.
Dominick Bertolini war bereit. Er war kein bißchen nervös. Seine Stimme hatte nicht gebebt. Seine Hände zitterten nicht. Seit er ein kleiner Junge war, hatte er sich im Geiste auf dies hier vorbereitet. Er wollte es, und er wollte es jetzt, und während er den ersten Schritt auf seinen Vater zu machte, wußte er, daß er diesen Moment für den Rest seines Lebens als seine große Stunde im Gedächtnis behalten würde.
Sich ducken und sterben. Oder kämpfen und leben. Er traf seine Wahl. Von jetzt an wäre alles anders. Alles würde besser. Es wurde Zeit, daß er das erste Mal in seinem Leben gewann. Nicht nur eine Schlacht, sondern einen Krieg. Für immer.
Unglücklicherweise war Dominick zu jung, um zu begreifen, daß es außer den Grundsätzen, die er sich vorstellte, auch noch weitere gab. Ja, stumm bleiben und leiden, das war eine Wahl. Und kämpfen und siegen eine andere. Aber auch kämpfen und verlieren gehörte dazu.
Und genau das geschah an diesem Abend.
Anthony Bertolini bewegte sich zuerst langsam und gemessen, bis er nur noch zwei Schritte von Dominick entfernt war. Dann griff er schnell an. Und gemein. Er umschloß sein Trinkglas mit der Hand, die er jetzt seinem Sohn seitlich gegen den Kopf schmetterte. Eine tiefe Platzwunde öffnete sich über Dominicks Auge, und Blut strömte aus der Wunde, als wäre es dicke rote Farbe, die aus einer weggeworfenen Dose heraussickerte. Ohne ihm eine Chance zu geben, sich zu wehren, hob Anthony einen Stuhl hoch und schmetterte ihn Dominick auf den Kopf. Das Holz splitterte, und das Geräusch war genauso wie bei einem Baseballschläger, der einen Fastball genau auf den Punkt trifft und ihn auf eine 150-Meter-Bahn schickt.
Dann holte Anthonys rechtes Bein aus, und die Spitze seines Schuhs krachte gegen Doms Hals. Der Junge gab einen traurigen, gurgelnden Laut von sich, der den vor Wut rasenden Vater nur noch anzustacheln schien. Das Bein schwang noch mehrmals zurück, und der Schuh traf abermals den Hals und dann die Rippen. Die Schläge und Tritte gingen noch eine Weile weiter, nachdem Dominick bereits das Bewußtsein verloren hatte. Und dann wandte Anthony sich wieder seiner Frau zu.
Diesmal prügelte er sie nicht, wie versprochen, halbtot. Sondern er schlug sie ganz tot.
Als Dominick fast zwei Tage später im Krankenhaus aufwachte, war seine Mutter begraben, und sein Vater saß im Knast. Dort verbrachte Anthony vier Jahre wegen Mordes an seiner Frau. Als er rauskam, versuchte er nie, mit seinem Sohn Kontakt aufzunehmen. Sogar ihm war klar, daß er ihre nächste Begegnung nicht überleben würde.
Der junge Dom brauchte nicht lange, um seine Bestimmung zu finden. Innerhalb eines Jahres hatte er sechs Amateurkämpfe, die er alle mühelos gewann. Er wurde Profi. Während der nächsten Jahre kämpfte er regelmäßig, reiste durch die Clubs entlang der Ostküste und gewann immer. Mit 22 Jahren stand er auf Platz zwölf der Rangliste. Er hätte längst weiter oben stehen können, aber niemand von den Top Ten wollte mit ihm in den Ring steigen. Bis sein Manager zu ihm kam und sagte, sie bekämen einen Kampf gegen den Sechsten der Rangliste, Sweet Lenny Sweets. Wenn Dominick dieses Duell gewänne, könne er gegen die Nummer eins oder zwei antreten. Und wenn er in diesem Kampf siegte, erhielte er die Chance auf einen Titelkampf. Er hätte nicht die geringsten Zweifel, daß er eines Tages Champion sein würde.
Dann, mehrere Tage vor seinem Kampf gegen Sweets, erhielt Dom eine Anweisung. Er sollte verlieren. Er war nicht naiv und nicht so beschützt und abgeschirmt, daß er die Methoden der Boxszene in jenen Tagen nicht begriff. Aber er war arrogant und sich seiner Härte und Fähigkeiten sicher, und als er in den Ring kletterte, wußte er eins ganz genau: Er würde nicht verlieren.
Das tat er auch nicht. Er schickte Lenny Sweets in der siebten Runde auf die Bretter.
Eine Woche später war er in seiner Wohnung in Hell’s Kitchen. Nicht in der, wo er aufgewachsen war – nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen worden war, hatte er keinen Fuß mehr in das Haus gesetzt und alles zurückgelassen, was er besaß, sogar seine Kleider. Es klopfte an der Tür, er stand vom Küchentisch auf und öffnete. Danach ging alles sehr schnell.
Sie waren zu dritt. Fett, stark, langsam, aber das bedeutete nichts, das Apartment war klein, es gab nicht viel Platz, um sich zu bewegen.
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