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Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
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paar Schritte zu einem Abfallkorb an der Straßenecke und warf es hinein. Dann kam er zurück und blieb dicht vor Grace stehen. Sie blickte sehnsüchtig auf den Abfallkorb.
    »Mir fällt es schwer, das zu beschreiben. Ja, was er mir erzählte, hat mir Angst gemacht. Aber zum Teil, weil er Angst hatte. Um sich, und ich glaube, auch um Sie.«
    »Weshalb sollte er Angst um mich gehabt haben?«
    »Keine Ahnung. Er drückte sich sehr vage aus und konnte es nicht richtig erklären. Es klingt vielleicht verrückt, aber ich hatte das Gefühl, als wollte er, daß ich bestimmte Dinge wußte für den Fall … für den Fall, daß Sie mich finden. Ich weiß nicht, wie ich es sonst erklären soll. Ich hatte das Gefühl, als wäre da irgendwas im Gange, was schon sehr lange andauerte. Seit Jahren. Und ich nehme an, er fühlte sich für viele Dinge verantwortlich, dafür, daß Menschen zu Schaden kamen.« Sie zögerte. »Vielleicht sogar getötet wurden.«
    »Welche Menschen?« fragte Jack sehr leise.
    »Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß er sich in einer ganz speziellen Verbindung zu Ihnen sah. Und es hatte etwas damit zu tun, daß Leuten in seiner Umgebung schlimme Dinge zugestoßen sind. Leuten, die er liebte.«
    »Ich weiß, was er meint«, sagte Jack leise.
    »Er hat Ihren Namen nicht erwähnt, ich wußte ja gar nicht, wie Sie heißen, wissen Sie, aber jetzt bin ich mir sicher, daß er von Ihnen sprach. Und er dachte offensichtlich, daß er Sie irgendwie in Gefahr brachte.«
    »Warum haben Sie mir das nicht schon früher erzählt?«
    »Weil ich mir nicht sicher war. Und ganz sicher bin ich mir noch immer nicht. Aber während ich mit Ihnen sprach, hatte ich so eine Ahnung … es ist ein Gefühl, mehr nicht. Genau kann ich es nicht ausdrücken.«
    Ein verlegenes Schweigen stand nun zwischen ihnen, das erst durch Graces unsicheres Lachen gebrochen wurde. »Nachdem ich uns beide jetzt richtig in Stimmung ge
    bracht habe, wollen Sie mit zur mir kommen?«
    »Ja«, sagte er.
    Sie stand auf und ging zur Haustür. Sie wandte sich um, stellte fest, daß er noch immer auf dem Gehsteig stand. » Kommen Sie jetzt mit in meine Wohnung?«
    »Nein«, antwortete er. Und dann: »Ich bin noch nicht soweit. Ich habe noch immer das Gefühl, als würde ich meine Frau betrügen.«
    Sie kam langsam zu ihm zurück, legte die Hände auf seine Schultern, stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn sanft auf den Mund. Als sie sich wieder von ihm trennte, hob Jack eine Hand und streichelte zärtlich ihre Wange. Dann machte er kehrt und schickte sich an, zu Fuß nach Hause zu gehen.
    Er war keinen halben Block weit gekommen, als sie ihm hinterherrief: »Seien Sie vorsichtig!« Und während die ersten Strahlen der Morgendämmerung den Himmel zu erhellen begannen, schaute sie ihm nach, bis er die nahezu verlassene Straße überquerte und um die Ecke verschwand.
    Warum hörte er nicht auf?
    Suchte er noch immer?
    Er war gewarnt worden, aber er stellte noch immer Fragen und kam immer näher…
    Welchen Unterschied machte es, warum tat er das? Gründe waren nicht wichtig. Kid hatte seine Gründe, und das waren Lügen. Gründe waren immer Lügen. Was am wichtigsten war, das war das Herz.
    Die letzten Worte, die Kid gehörte hatte, waren Ich liebe dich gewesen.
    Was wären wohl die letzten Worte, die Jack Keller hören würde?
    Es wurde Zeit, das herauszufinden.
    Jack hatte gerade zehn Minuten geschlafen, als das Telefon klingelte.
    »Jack«, sagte die Stimme am anderen Ende drängend, »hier ist Grace. Ich bin dahintergekommen. Ich kann nicht glauben, daß ich so dumm war. Es lag die ganze Zeit überdeutlich vor uns …«
    »Was?« fragte Jack mit einer Stimme, die vor Erschöpfung fast versagte.
    »Können wir uns heute treffen?« fragte sie.
    »Wovon reden Sie?« sagte Jack. »Hinter was sind Sie gekommen?«
    »Samsonite«, sprudelte Grace hervor. »Ich weiß, wie man sie finden kann.«

Dreiundvierzig
    Sie trafen sich entsprechend Grace Childress’ Anweisungen um ein Uhr morgens. Sie wollte ihm nicht verraten, weshalb sie glaubte, Samsonite gefunden zu haben, sie wollte sich zu gar nichts äußern. Sie bat ihn lediglich, sie mit einem Taxi abzuholen, und als er bei ihr erschien, dirigierte sie den Fahrer über den FDR Drive Richtung Innenstadt.
    Das Taxi setzte sie im East Village in einer kleinen, schäbigen Seitenstraße unweit Rivington und Essex ab. Grace nahm Jack bei der Hand und führte ihn in den fünften Stock eines unauffälligen

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