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Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
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davon zu überzeugen, ihn mit Samsonite allein weggehen zu lassen. Aber nach einem kurzen, hitzigen Wortwechsel siegte seine Logik. Wenn sie überhaupt redete, so würde sie, dessen war er sich sicher, unter vier Augen erheblich mitteilsamer sein, vor allem einem Mann gegenüber. Und falls sie wirklich gefährlich war, dann sollten sie auf keinen Fall zusammen weggehen. Indem er sich der einzigen Analogie bediente, die ihm in diesem Moment einfiel, sagte er, daß einer von ihnen unterm eigenen Korb bleiben und verteidigen müßte. Er erklärte ihr, daß sie, wenn er sich nicht innerhalb von zwei Stunden nach Verlassen des Clubs bei ihr melden würde, sofort Sgt. Patience McCoy im 8. Polizeirevier anrufen sollte. Grace willigte widerstrebend ein. Um halb fünf meinte das vierte Mitglied von Kids Team, daß sie Feierabend machen könne, und sie und Jack machten sich auf den Weg zu ihrer Wohnung, wo sie, wie sie sagte, etwas trinken und rauchen und über alles reden könnten.
    Samsonite – sie sagte, ihr richtiger Name sei Rita, kein Nachname, nur Rita, aber für Jack war sie weiterhin Samsonite, der Name paßte einfach perfekt zu ihr – wohnte in einer heruntergekommenen Straße im East Village, wo noch nichts vom Wirtschaftsaufschwung und den Renovierungen, die in der Nachbarschaft stattgefunden hatten, zu bemerken war. Der ganze Block bestand aus kaum mehr als einer Reihe von ausgebrannten Mietskasernen und Schutt. In einer dieser Mietskasernen wohnte Samsonite.
    »Hier leben Sie?« fragte Jack überrascht. Für ihn wirkte das Gebäude, als wäre es schon vor langer Zeit aufgegeben worden.
    »Ich habe schon schlechter gewohnt, das können Sie mir glauben.«
    Sie suchte den Schlüssel für die Haustür und konnte ihn in ihrer Handtasche nicht finden. Nach einer Weile murmelte sie einen Fluch und griff in die rechte Tasche ihres Kleides und fischte den Schlüssel heraus. Nachdem sie die Tür geöffnet hatte, bedeutete sie Jack, er solle vorangehen.
    Im Haus war es noch schlimmer. Der Flur war verwahrlost und schmutzig und roch, als wäre er seit Jahren nicht gereinigt worden. Sie stieg eine Treppe hinauf, und Jack folgte ihr jetzt zögernd. Mit einem Fuß stieß er gegen einen Haufen Lumpen auf dem ersten Absatz – und der Haufen bewegte sich wütend.
    »Ein Crackhead«, sagte Samsonite. »Kümmern Sie sich nicht um ihn.«
    Sie riet Jack außerdem, sich nicht an der Ratte zu stören, die an ihnen vorbei nach unten huschte. Er überlegte kurz, die Frau zurückzuhalten, sie aus dem Haus zu zerren und in seine Wohnung mitzunehmen, doch dann dachte er: Nein. Ich bin zu dicht vor dem Ziel. Bald werde ich wissen, was im Gange ist. Erschreck sie nicht. Laß die Dinge einfach laufen.
    Sie erreichten ihr Apartment im dritten Stock. Die schmuddelige grüne Tür war mit vier Sicherheitsschlössern und einem äußeren Vorhängeschloß gesichert. Während Samsonite mit dem Aufschließen begann, sagte sie: »Es ist nicht so, daß ich unter Verfolgungswahn leide. Ich weiß, daß Sie das denken. Das ist nur die russische Mentalität. Man denkt immer, daß irgendwer versucht, einem wegzunehmen, was man besitzt.«
    Mittlerweile hatte sie es geschafft, die Tür zu öffnen. Sie trat ein, knipste das Licht an und zuckte vor der plötzlichen Helligkeit zurück. Sie schaltete es sofort wieder aus, und während Jack hinter ihr die Wohnung betrat, huschte sie herum und zündete Kerzen an. Nicht drei oder vier. Fünfzig, sechzig, vielleicht sogar an die hundert waren überall verstreut. Und es gab wahrlich nicht viel Platz, an den man sie hätte stellen können.
    Samsonite bewohnte zwei Zimmer plus Küche. Allerdings konnte sie im Augenblick kaum als Küche bezeichnet werden. Es war ein Raum mit einem von Schmutzstreifen übersäten Kühlschrank und Ablageflächen, die mit halbgeleerten Tellern und Schüsseln und alten Kartons für chinesisches Essen bedeckt waren. Als sie die vier Kerzen neben der Spüle anzündete – die randvoll war mit schmutzigen Tellern und Besteck –, glaubte Jack eine ganze Armee Kakerlaken in den Rissen in der Wand verschwinden zu sehen.
    Im Wohnzimmer dienten mit Heftzwecken befestigte Lappen und Handtücher als Fensterdekoration. Das einzige Sofa sah aus, als würde es sofort zusammenbrechen, sobald sich jemand darauf setzte, und eine kleine Apfelsinenkiste stellte, wie Jack vermutete, einen behelfsmäßigen Couchtisch dar. Und das war es auch schon. Durch die offene Schlafzimmertür konnte er auf dem Fußboden

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