Ice - Hüter des Nordens - Durst, S: Ice - Hüter des Nordens
hast mich einfach so ›in Ordnung gebracht‹.« Sie hatte ihm vertraut. Sie hatte geglaubt, sie beide wären ein Team.
Er tappte näher zu ihr. »Wir werden ein Baby haben«, sagte er. »Wir werden neues Leben in die Welt bringen. Siehst du denn nicht, wie wunderbar das ist?«
»Lass mich einfach allein.« Cassie stieß ihn mit beiden Händen gegen die pelzige Brust. Er ging rückwärts aus dem Badezimmer. Sie schlug ihm die Tür vor der Nase zu und drehte den Schlüssel um. Den Rücken gegen die Tür gelehnt, rutschte sie ganz langsam zu Boden. Wieder spürte sie, wie drohend eine neue Welle Übelkeit heranrollte. Am liebsten hätte sie sich sämtliche Innereien aus dem Körper gerissen, das Herz eingeschlossen.
»Ich liebe dich«, sagte Bär hinter der Tür.
Sie erbrach sich auf den Fußboden und blieb weinend sitzen.
Er musste es rückgängig machen. So einfach war das. Er konnte ihre Moleküle manipulieren. Er konnte wiedergutmachen, was er ihr angetan hatte. Eis knirschte unter Cassies Mukluks, als sie durch den Garten mit den Eisskulpturen schritt. Wenn er imstande war, ein »chemisches Ungleichgewicht« in Ordnung zu bringen und sie in der arktischen Kälte warm zu halten, dann konnte er auch dafür sorgen, dass in ihrem Körper alles wieder so wurde wie vorher.
Sie fand ihn zwischen den Rosensträuchern, das Gesicht der nie untergehenden Sonne zugewandt. Er drehte sich nicht um, als sie näher kam. Sie schluckte einen Kloß hinunter. Ja, er konnte das tun. Aber würde er es auch tun? Sie wusste es nicht. Ihr war, als hätte sich Bär, verborgen hinter den schwarzen Augen und dem cremefarbenen Fell, in einen Fremden verwandelt. Sie senkte den Blick und betrachtete die Rosen. In jedem einzelnen Blatt, jeder einzelnen Blüte, die im Licht der tief stehenden Sonne bernsteinfarben und violett glitzerten, leuchtete sein Spiegelbild.
»Du hast auf mich geschossen«, begann er. »Erinnerst du dich? Du hast mit deinem Betäubungsgewehr auf mich geschossen. Und ich habe dich trotzdem geheiratet. Hast du dich denn niemals gefragt, warum?«
Nein, hatte sie nicht. Bis jetzt.
»Weil du auf mich geschossen hast. Weil du mich gejagt hast, bevor du überhaupt wusstest, was ich bin, bevor ich es wagte, mich dir zu erkennen zu geben. Du warst so stur, so unbeirrbar, so stark. Ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken, hast du dein Leben riskiert, um mich zu verfolgen. Und das alles für deine Arbeit, für deinen Vater, für seine Forschungsstation. Und für die Eisbären.« Sie starrte ihn an, aber er war noch nicht fertig. »Und dann? Dann warst du mutig genug, ein wildes Tier zu heiraten, um eine Frau zu retten, die du noch nie zuvor gesehen hattest. Du warst großherzig genug, dir Sorgen zu machen um eine ›Laune der Natur‹. Intelligent genug, um meine Partnerin zu sein, meine Teamkameradin, meine Tuvaaqan . Aus all diesen Gründen liebe ich dich. Nicht wegen deiner Eierstöcke oder deiner Chromosomen, sondern weil ich weiß, dass du die Frau auf der ganzen weiten Welt bist, die für mich bestimmt ist.«
Cassie hob die Hand und streckte sie nach ihm aus. Sie wollte ihre Finger in seinem Fell vergraben und ihr Gesicht gegen seinen Hals pressen. Aber nur Millimeter von seinem Körper entfernt hielt sie inne. Wie gern hätte sie ihm geglaubt. Auch sie hatte gedacht, er wäre ihr Gegenstück. Ihr Tuvaaqan . Vielleicht war er das sogar noch immer. Es konnte alles ein Missverständnis sein. »Wenn ich die Frau bin, die du liebst, dann entferne diese Kreatur aus mir«, sagte sie.
Er schüttelte seinen massigen Kopf. »Du weißt nicht, was du da von mir verlangst«, erwiderte er. »Das ist keine ›Kreatur‹.«
Wer konnte denn wissen, was für ein Ding da in ihr heranwuchs? Es war nicht menschlich. Es war zur Hälfte ein Munaqsri. Und dank Bärs »Eigenheiten« hatte sie überhaupt keine Ahnung, was das bedeutete. Sie schlang die Arme um ihren Körper. »Wie soll ich dir denn glauben? Du erlaubst mir ja nicht mal, dich anzusehen.« Zum ersten Mal in all den Monaten fragte sie sich, was er wohl in der Dunkelheit vor ihr verbergen mochte.
»Es ist ein Kind, und die Welt braucht es.« Er wandte sich zu ihr um. »Wenn du erst mal begriffen hast, wie wichtig dieses Kind ist, wirst du darüber genauso glücklich sein wie ich. Du musst mir vertrauen. Alles wird gut. Hab nur Geduld! Du wirst sehen.«
Cassie versuchte, etwas aus seinen unergründlichen Bärenaugen herauszulesen, aber alles, was sie darin sehen konnte, war
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