Ice Ship - Tödliche Fracht
Kunstwerk. Der einzige Kontrast war der Boden des Schachts: völlig eben, aber mit einer Schicht Steinschutt bestreut, damit die Reifen des riesigen Fahrzeuges Halt finden konnten. Wenn er den Blick nach oben richtete, sah Glinn den Meteoriten in seiner Holzhalterung auf dem Tieflader liegen: ein geheimnisvoller roter Klumpen inmitten einer gespenstisch blauen Röhre. Hinter einem Knick, von Glinn nicht einzusehen, dröhnte und ratterte schweres Arbeitsgerät. Wie aus dem Nichts tauchte der Scheinwerfer der Grubenbahn auf, deren Zugmaschine einen Bandwurm von Loren hinter sich herzog, bis zum Rand mit Eisbrocken beladen. Der Konvoi schlängelte sich um den Meteoriten herum, zockelte an Glinn vorbei und verschwand irgendwo hinter ihm im Dunkel. Die Entdeckung, dass die bloße Berührung des Meteoriten tödlich sein konnte, erschreckte Glinn mehr, als er sich anmerken ließ. Er hatte zwar schon bei Beginn der Arbeiten angeordnet, den Meteoriten auf keinen Fall anzufassen, aber da war es ihm eher um eine vorsorgliche rechtliche Absicherung gegangen. Nun sagte ihm seine Intuition, dass McFarlane Recht hatte: Die Explosion musste durch eine Berührung ausgelöst worden sein, eine andere plausible Erklärung gab es nicht. Also mussten sie das unabdingbar Notwendige und die Risiken gegeneinander abwägen und eine angemessene Strategie für ihr weiteres Vorgehen entwickeln, was den Einsatz der gesamten Rechnerkapazität in der EES-Zentrale in New York erforderlich machte. Wieder zog das rote Meteoritengestein seinen Blick magisch an. Es ruhte – scheinbar friedlich, betörend schön wie ein funkelnder Edelstein – in seiner Halterung aus Eichenholz. Und doch hatte es vier Menschen getötet: Masangkay, Rochefort, Evans und den Mann, der ihnen von Vallenar auf den Hals gehetzt worden war. Was Glinn daran erinnerte, dass irgendwo da draußen immer noch der chilenische Zerstörer lauerte. Er warf einen Blick auf seine Taschenuhr. McFarlane und Amira mussten jeden Moment hier sein, sie waren immer pünktlich. Und da sah er sie auch schon mit dem Tragebeutel, der die Messgeräte enthielt, aus einem Schneemobil steigen. Glinn ging ihnen entgegen. »Ihnen bleiben rund vierzig Minuten, dann ist der Schacht weit genug vorgetrieben, dass wir den Meteoriten wieder ein Stück weiterbewegen können. Machen Sie das Beste daraus.« Amira nickte. »Das haben wir auch vor.« Glinn sah ihr zu, wie sie, während McFarlane mit einer Digitalkamera Aufnahmen von dem Meteoriten machte, die Geräte auspackte und aufbaute. Ein tüchtiges Mädchen, dachte Glinn. McFarlane war wie erwartet dahinter gekommen, dass sie Berichte über ihn schrieb. Und das hatte zum gewünschten Effekt geführt: McFarlane wusste nun, dass er bei allem, was er tat, mit Argusaugen beobachtet wurde, und Amira verkniff sich neuerdings die kritischen Fragen, die sie früher ständig gestellt hatte. Was Glinn begrüßte, weil moralische Bedenken bei der Lösung technischer Probleme nur störten. Und was McFarlane anging: erstaunlich, wie schnell er sich nach der ersten Verärgerung gefangen hatte. Gewiss, irgendwie war er der komplizierte Mensch, als der er in dem von Glinn angeforderten psychologischen Profil beschrieben wurde, aber er hatte sich auch als unerwartet nützlicher Mitarbeiter erwiesen. Wieder hielt ein Schneemobil im Eisschacht, Sally Britton stieg aus – in Uniform, mit einem langen, wehenden Mantel, lediglich die Kapitänskappe fehlte. Was ihr aber, wie Glinn feststellte, zum Vorteil gereichte. Im künstlichen Licht des Tunnels leuchtete ihr strohblondes Haar besonders schön. Er schmunzelte verstohlen. Weil er geahnt hatte, dass sie kommen würde. Spätestens seit dem Tod des chilenischen Spitzels hatte er sogar fest damit gerechnet. Und sich, wie er sich insgeheim eingestand, darauf gefreut. Er ging auf sie zu, sie gaben sich die Hand. »Schön, Sie zu sehen, Captain. Was hat Sie in unsere Maulwurfshöhle gelockt?«
Britton sah sich um, ihre klugen grünen Augen schienen alles in sich aufzunehmen. Dann fiel ihr Blick auf den Meteoriten und erstarrte. »Großer Gott!« Glinn lächelte. »Alle reagieren geschockt, wenn sie ihn zum ersten Mal sehen.« Und dann fügte er leise, aber bestimmt hinzu: »Für große Ziele muss man gewisse Schwierigkeiten in Kauf nehmen, Captain. Immerhin handelt es sich um die wissenschaftliche Entdeckung des Jahrhunderts.« An sich scherte er sich nicht um den wissenschaftlichen Wert der Expedition, ihn interessierte lediglich
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