Ice Ship - Tödliche Fracht
was sich da zusammenbraute, wussten nur er, Britton und der Erste Offizier. Es wäre unsinnig gewesen, die Mannschaft und die Techniker der EES in diesem kritischen Stadium damit zu belasten. Nach den Vorhersagen sollte es ein panteonero bis zur Stärke fünfzehn werden – der berüchtigte Friedhofswind, der gewöhnlich bei Morgengrauen aufkam. Dabei wehte der Wind anfangs immer aus Südwest, um dann, bei zunehmender Stärke, auf Nordwest zu drehen. Aber wenn es gelang, die Rolvaag bis zum Mittag durch die Straße von Le Maire zu bringen, konnten sie im Lee der Tierra del Fuego sein, ehe der Tanz losging. Und dann hatten sie den Sturm im Rücken: ideal für einen riesigen Tanker, aber teuflisch gefährlich für einen Verfolger von der Größe des Zerstörers. Vallenar musste die Positionslichter des Bootes längst bemerkt haben. Die Entfernung zum Zerstörer betrug nur noch etwa siebzig Meter. Glinn hörte hinter sich ein dumpf platschendes Geräusch, danach in rascher Folge drei weitere. Wenn er in sich hineinhorchte, spürte er die unheimliche Ruhe, die ihn vor solchen Operationen jedes Mal überkam. Es war ein angenehmes und – weil er es lange entbehrt hatte – fast schon nostalgisches Gefühl. Auf dem Zerstörer flammte ein Suchscheinwerfer auf, der Lichtstrahl erfasste sie. Glinn blieb reglos am Bug stehen, während das Boot seine Fahrt verlangsamte. Wenn sie entgegen aller Vernunft – und seiner festen Überzeugung – das Feuer eröffneten, war das sein Ende. Er atmete tief ein und langsam aus, zweimal, dreimal. Dann wusste er, dass der kritische Moment vorüber war. Er wurde am Fallreep erwartet und durch übel riechende Flure und über schlüpfrige Metallstege zur Brücke geführt. Vallenar war, abgesehen vom Deckoffizier, allein. Er stand am Fenster, die Zigarre im Mund, die Arme auf dem Rücken verschränkt, den Blick auf die Insel gerichtet. Es war kalt, entweder hatten sie die Heizung abgestellt, oder sie war ausgefallen. Außerdem stank es, wie überall auf dem Schiff, nach Maschinenöl, fauligem Bilgenwasser und Fisch. Vallenar machte keine Anstalten, sich umzudrehen. Glinn ließ eine angemessene Zeit verstreichen, ehe er in fließendem Spanisch sagte: »Ich bin gekommen, um Ihnen einen Höflichkeitsbesuch abzustatten, mi Comandante.« Vallenar kehrte ihm weiter den Rücken zu und stieß ein leises Schnauben aus, das Glinn als Ausdruck stiller Belustigung deutete. Die Atmosphäre war so unwirklich, dass er sich fast wie in einem überirdischen Schwebezustand fühlte, leicht und seltsam beschwingt. Schließlich zog Vallenar einen Schrieb aus der Jackentasche und faltete ihn auseinander. Glinn konnte den Briefkopf einer renommierten australischen Universität erkennen. Und dann sagte der Comandante trocken und ohne merkliche Erregung: »Es ist ein Meteorit.« Er wusste es also. Natürlich hatten sie mit der Möglichkeit gerechnet, sie aber als eher unwahrscheinlich eingestuft. Und nun bestimmte das vermeintlich Unwahrscheinliche auf einmal den weiteren Ablauf der Ereignisse. Vallenar drehte sich um. Sein schwerer Wollmantel klaffte auseinander, Glinn konnte die alte Luger sehen, die in seinem Koppel steckte. »Ein Meteorit, den Sie meinem Land stehlen.« »Wir stehlen ihn nicht«, widersprach Glinn. »Wir bewegen uns im Rahmen des internationalen Rechts.« Vallenar stieß ein bellendes Lachen aus. »Ich weiß. Sie haben das Recht zum Erzabbau erworben. Und der Meteorit ist ja aus Erz. Das ist der Punkt, in dem ich mich geirrt habe: Sie waren tatsächlich auf Erz aus.« Glinn sagte nichts. Sollte Vallenar ruhig reden und es ihm mit jedem Wort leichter machen, die künftigen Schachzüge des Chilenen noch genauer vorherzusehen. »Aber, Señor, Sie bewegen sich nicht im Rahmen meines Rechts – des Rechts von Comandante Vallenar.« »Ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen.« Glinn stellte sich ahnungslos. »Sie werden Chile nicht mit diesem Meteoriten verlassen!« »Nun, zunächst müssten wir ihn ja finden.« Vallenar stutzte nur einen winzigen Augenblick, aber der reichte aus, um Glinn Gewissheit zu geben, dass der Comandante nicht wusste, wie weit sie schon waren. »Wie wollen Sie verhindern, dass ich die Behörden in Santiago informiere? Oder haben Sie dorthin auch schon Ihr Bestechungsgeld überwiesen?« »Informieren Sie, wen Sie wollen«, erwiderte Glinn. »Wir tun nichts Illegales.« Ihm war bekannt, dass Vallenar es vorzog, Schwierigkeiten auf seine Art aus dem Weg zu räumen. Er würde
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