Ice Ship - Tödliche Fracht
Hand, er brauchte nur hinzuhören, wie die Unterströmung immer wieder mit dumpfer Wucht gegen den Rumpf der Rolvaag schlug. Nun gut, irgendwo drang bei jedem Schiff etwas Bilgenwasser ein, das war normal. Trotzdem lief ihm bei dem Gedanken, dass zwischen ihm und dem Grund des Ozeans nur drei dünne Metallschichten lagen, ein leichter Schauder über den Rücken. Er sah schnell weg, wodurch sein Blick wieder an dem Meteoriten hängen blieb. Obwohl er aus der Nähe wesentlich größer aussah, schien er sich doch im weiten Raum des Zentraltanks zu verlieren. Es war ihm immer noch ein Rätsel, wie so ein relativ kleines Objekt so viel wie fünf Eiffeltürme wiegen konnte. Das Faszinierendste an ihm war die mit Worten kaum zu beschreibende Farbe. Er hätte sich gewünscht, ein kleines Stück aus diesem märchenhaft roten Stein herausbrechen zu können – es hätte sich gut in einem Ring für seine Freundin gemacht. Aber er brauchte nur daran zu denken, wie mühsam sie vor ein paar Tagen, nach der Explosion im Tunnel, Timmers sterbliche Überreste zusammengesucht hatten, um die Idee mit dem Ring schnell zu vergessen. Er warf einen Blick auf die Uhr. Fünfzehn Minuten waren vergangen. Somit blieben ihnen nach der Zeitkalkulation noch zehn. »Wie läuft’s bei euch?«, rief er dem Vorarbeiter des Schweißtrupps zu. Der formte aus den Händen einen Trichter. »Fast fertig«, brüllte er zurück. Das Echo irrte hohl im Tank hin und her. Garza spürte, dass das Schiff jetzt stärker schlingerte. Und als er schnupperte, stieg ihm der Geruch von überhitztem Stahl, Wolfram und Titan in die Nase. Schließlich war die Arbeit getan, die Schweißbrenner wurden abgestellt. Zwanzig Minuten, nicht schlecht. Garza nickte zufrieden. Das war eben typisch Rochefort. Ihm war es bei allen Konstruktionen stets darauf angekommen, dass sie einfach und möglichst störunanfällig waren. Da blieben solche nachträglichen Schweißarbeiten die Ausnahme. Er mochte als Pedant gegolten haben, aber er war ein hervorragender Ingenieur gewesen. Ein Jammer, dass er nicht mehr miterlebt hatte, wie der Meteorit in den Tank abgesenkt worden war – genau nach seinem Plan. Aber so war das eben, bei nahezu jedem Auftrag gab es Tote. Es war fast wie im Krieg: Wer für die EES arbeitete, tat gut daran, keine allzu engen Bindungen einzugehen. Mein Gott, jetzt schlingert das Schiff aber mächtig! Das muss eine gewaltige Welle sein, dachte er. Überall knirschte und knackte es, die Rolvaag schaukelte und bockte immer mehr. Garza griff nach dem Schutzgitter des Aufzugskäfigs, um nicht den Halt zu verlieren. »Festhalten, Leute!«, konnte er dem Trupp noch zurufen, dann wurde es Nacht. Als er zu sich kam, merkte er, dass er auf dem Rücken lag. Um ihn herum war es stockdunkel, Schmerzen wüteten in ihm. Was, zum Teufel, war passiert? Er hatte keine Ahnung, wie lange er so dalag. Vielleicht erst seit einer Minute, aber genauso gut konnte eine Stunde vergangen sein. Seine Gedanken rotierten. Es musste eine Explosion gegeben haben. Irgendwo im rabenschwarzen Dunkel schrie jemand. Es stank nach Ozon, heißem Metall und angesengtem Holz. Etwas Warmes, Klebriges rann ihm übers Gesicht. Der klopfende Schmerz kam in Wellen, genau im Rhythmus seines Herzschlags. Aber dann wurde er schwächer, verebbte, zog sich immer tiefer ins Dunkel zurück. Und das war gut so, denn nun konnte er endlich wieder einschlafen.
Rolvaag
8.00 Uhr
Palmer Lloyd hatte sich für seine Rückkehr auf die Brücke Zeit gelassen. Er wollte sich vorher innerlich stählen. Glinn sollte nicht denken, er hege insgeheim immer noch irgendwelche Ressentiments. Alle begegneten ihm ausgesprochen höflich und respektvoll. Was Lloyd ein wenig erstaunte, bis ihm klar wurde, dass allgemein eine neue Stimmung herrschte. Der Auftrag war so gut wie erledigt, alle hatten Zeit für ihn. Er war nicht mehr der lästige Störenfried, sondern Palmer Lloyd, Eigentümer des sensationellsten Meteoriten, der je geborgen worden war, Chef des Lloyd-Museums, Präsident der Lloyd Holdings und einer der sieben reichsten Männer der Welt. Über Brittons goldene Epauletten hinweg konnte er das Monitorbild sehen. Er kannte sich damit aus. Das Kreuz markierte die gegenwärtige Position ihres Schiffes, die Längsachse den geplanten weiteren Verlauf der Reise. Die Achse näherte sich immer mehr dem Kreuzungspunkt mit der geschwungenen, horizontal verlaufenden roten Linie, welche die Grenze der internationalen Gewässer markierte.
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