Ice Ship - Tödliche Fracht
geringer, in Schlechtwetter zu geraten.« McFarlane sah sie besorgt an. »Aber ein Schiff von dieser Größe und Kraft hat doch wohl nichts von einem Sturm zu befürchten, oder?« Britton lächelte verhalten. »Die Region ums Kap Hoorn hat ihre eigenen Gesetze. Stürme mit Windstärke fünfzehn sind nichts Ungewöhnliches. Und von den berüchtigten Williwaws haben Sie ja bestimmt schon gehört.« McFarlane nickte.
»Nun, es gibt einen anderen, weniger bekannten, aber noch gefährlicheren Wind dort unten. Die Einheimischen nennen ihn den panteonero, den Friedhofswind, weil er ganze Schiffsbesatzungen direkt ins Grab fegen kann. Er weht manchmal mehrere Tage ohne Unterlass mit über hundert Knoten.« Nun wollte McFarlane es genau wissen. »Aber die Rolvaag trotzt doch auch so einem Sturm, oder nicht?« »Solange das Schiff dem Ruder gehorcht, besteht natürlich keine Gefahr. Nur, der Friedhofswind hat schon viele manövrierunfähige Schiffe in die Tiefe gedrückt, besonders unten in den ›Heulenden Sechzigern‹. So heißt der Streifen offenes Wasser ab dem sechzigsten Breitengrad zwischen Südamerika und der Antarktis, für Seeleute die Hölle auf Erden. Der einzige Ort, an dem sich Wind und Wellen tagelang im Kreis drehen können, ohne aufs Festland weiterzuziehen. Da können sich die Wellen bis zu sechzig Meter hoch türmen.« »Du liebe Güte«, sagte McFarlane erschrocken. »Haben Sie das auch schon mal erlebt?« Britton schüttelte den Kopf. »Nie, und ich habe auch nicht die Absicht, es je zu erleben.« Sie zögerte, legte die Serviette beiseite und fragte McFarlane: »Sagt Ihnen der Name Captain Honeycutt etwas?« McFarlane überlegte. »Ein englischer Seefahrer?« Sie nickte. »Ist 1607 von London aus mit vier Schiffen in See gestochen, Richtung Pazifik. Dreißig Jahre vorher hatte Drake das Kap Hoorn umrundet, dabei allerdings fünf seiner sechs Schiffe verloren. Honeycutt wollte beweisen, dass man die Route befahren kann, ohne ein Schiff zu verlieren. Als sie sich der Straße von Le Maire näherten, sind sie in schwere See geraten. Alle haben Honeycutt beschworen abzudrehen, aber er hielt unbeirrt Kurs. Auf der Höhe von Kap Hoorn kam ein furchtbarer Sturm auf. Gigantische Sturzwellen – die Chilenen nennen sie tigres – brachten zwei seiner Schiffe in Minutenschnelle zum Kentern. Die beiden anderen verloren den Mast und trieben etliche Tage hilflos gen Süden, über die Eisgrenze hinaus.« »Was meinen Sie mit Eisgrenze?« »Den Beginn der Eisbildung. Dort trifft das Wasser des südlichen Ozeans auf das Schelfeis rund um die Antarktis. Die Ozeanologen sprechen von der Antarktischen Annäherung. Dort sind Honeycutts Schiffe irgendwann nachts seitlich auf eine Eisinsel geprallt.« »Wie die Titanic«, warf Amira ein. »Nein«, sagte Britton, »kein Eisberg, eine Eisinsel. Der Eisberg, auf den die Titanic aufgelaufen ist, war ein Eiswürfel, verglichen mit den riesigen Eisflächen südlich der Grenze des ewigen Eises. Die Eisinsel, mit der Honeycutts Schiffe kollidiert sind, dürfte etwa dreißig mal sechzig Kilometer gemessen haben.« »Sechzig Kilometer?«, fragte McFarlane ungläubig. »Es liegen Berichte von noch viel größeren vor. Man kann sie aus dem Weltraum sehen. Riesige Platten, die vom antarktischen Schelfeis abgebrochen sind.« »Großer Gott«, murmelte Amira. »Nun, von den etwas über hundert Seelen auf Honeycutts Schiffen, die diese Stürme überlebt hatten, haben es vielleicht dreißig geschafft, sich auf die Eisinsel zu retten. Sie haben aus angespültem Treibholz ein kleines Feuer entzündet. Das mussten sie allerdings ständig umschichten, weil das Eis darunter wegzuschmelzen drohte. Innerhalb von zwei Tagen ist die Hälfte der Männer an Unterkühlung und Erschöpfung gestorben. Sie fingen an zu halluzinieren. Einige faselten von einer riesigen zottigen Gestalt mit schneeweißem Haar und roten Zähnen, die angeblich einige Männer aus der Crew verschleppt hatte.« »Gütiger Himmel«, sagte Brambell, ohne sich von dieser Gruselgeschichte den Appetit verderben zu lassen, »das ist ja genau wie in Poes ›Geschichte des Arthur Gordon Pym‹.« »Stimmt genau«, bestätigte Britton. »In der Tat hat sich Poe an die Geschichte von Honeycutt und seiner Crew angelehnt. Die Kreatur soll den Verschleppten angeblich die Ohren, Zehen, Finger und Knie abgebissen haben, den Rest haben die Überlebenden weit verstreut auf dem Eis gefunden.« McFarlane bemerkte, dass die Unterhaltung an den
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