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Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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Managers rotiert – in Richtung Ausgang!
    Bernd Graf, Software-Entwickler
    Betr.: Warum der Tod eines Stiefvaters
nur halb so schlimm ist
    In unserer Firma ist alles bis ins Detail geregelt, von der Geburt bis zum Tod. Jede Führungskraft hat eine »Dienstanweisung über die Freistellung des Mitarbeiters (der Mitarbeiterin) bei Arbeitsverhinderung« vorliegen. Eine »Arbeitsverhinderung« besteht zum Beispiel darin, dass jemand heiratet, ein Kind zur Welt bringt, den Wohnort wechselt oder seine Eltern Silberhochzeit feiern. Aber auch der Tod eines nahen Verwandten führt dazu, dass ihm die Firma freie Sondertage gewährt.
    Die Zahl dieser Tage hängt von makaberen Kriterien ab: Um ein verstorbenes Kind, das noch zu Hause lebte, darf man drei Tage trauern. War das Kind aber schon ausgezogen, gewährt die Firma nur zwei Tage. Das Alter spielt dabei keine Rolle. Ein Schüler im Internat gilt als »nicht mehr zu Hause lebend«. Vermitteln Sie das mal einer Mutter, deren zehnjähriger Sohn gerade unter ein Auto gelaufen ist! Genau das ist meine Aufgabe als Personalerin.
    Und ich muss schlichten, wenn es zu Auslegungsschwierigkeiten kommt. Einmal wollte eine Mitarbeiterin eine Freistellung für ihre Heirat, doch ihr Vorgesetzter forderte sie auf, regulären Urlaub zu nehmen. Die Frau wies darauf hin, dass ihr zwei freie Tage laut Dienstanweisung zustanden. Der Chef aber konterte: »Wenn ich mich richtig erinnere, ist das bereits Ihre zweite Heirat in fünf Jahren. Sie haben die freien Tage bereits verbraucht!«
    Ich musste den Fachvorgesetzten darüber aufklären, dass die freien Tage auch dann vorgesehen waren, wenn jemand nach einer Scheidung erneut heiratete.
    Bei anderer Gelegenheit bekam ein IT -Leiter Panik, weil sein wichtigster Mann ausgerechnet in der kritischen Phase eines Projektes zur Beerdigung seines Stiefvaters in die Schweiz reisen wollte. Beim Tod der Eltern oder Schwiegereltern standen dem Mitarbeiter zwei Tage zu. Aber der IT -Chef gab sich spitzfindig: »Nicht dein Vater ist gestorben, sondern dein Stiefvater! Von diesem Fall ist in der Verordnung nicht die Rede.«
    Der junge Mitarbeiter rang mit den Tränen. »Mein Stiefvater ist mir genauso viel wert wie meine leiblichen Eltern! Das ist doch kein Trauerfall zweiter Klasse.«
    Â»Und wenn nächste Woche dein leiblicher Vater stirbt?«, fragte sein Chef. »Dann bekommst du noch mal zwei freie Tage? Das wäre doch ungerecht gegenüber den Kollegen, die nur einmal freimachen dürfen!«
    Seine Argumentation klang so, als wäre es der schönste Zeitvertreib, in schwarzer Kleidung an einem offenen Familiengrab zu stehen. Ich sollte nun klären: Gilt ein Stiefvater laut Verordnung als Vater? Oder besteht bei seinem Tod kein Freistellungs­ anspruch? Tatsächlich wies die Verordnung eine Lücke auf; Stief­ eltern waren nicht erwähnt und fielen, streng genommen, nicht darunter. Der Personalvorstand musste entscheiden und übermittelte mir folgende Linie: »Ab jetzt stellen wir Mitarbeitern, die Stiefeltern haben, frei, beim Tod welcher Eltern sie diese freien Tage nehmen. Doppelte Inanspruchnahme ist aus Gründen der Gleichbehandlung nicht möglich.«
    Der einzige Todesfall, über den ich mich wirklich freuen könnte: wenn endlich die Bürokratie in unserem Konzern stürbe!
    Kathrin Hofmann, Personalerin
    Betr.: Wie unsere Putzfrau zum Sicherheitsrisiko wurde
    Ich tippte gerade an einem wichtigen Text, als ich aus dem Augenwinkel unsere Putzfrau heranrauschen sah. Mit überhöhter Geschwindigkeit, als ritte sie auf einem Hexenbesen, feudelte sie den Boden an der Rückseite unserer Schreibtische. Früher hatte sie in Ruhe putzen dürfen, bis unser Büro sauber war. Doch unsere Behördenleitung hatte das Zeitbudget der Reinigungsfirma kürzlich um die Hälfte zusammengestrichen. Für die Putzfrauen hieß das: doppelt so schnell arbeiten.
    Ich wandte meinen Blick von ihr ab und tippte weiter an meinem Entwurf eines Bescheides. Seit dem frühen Morgen quälte ich mich damit herum (jetzt war Nachmittag). Die Putzfrau rauschte gerade an mir vorbei, als mein Computer zu spinnen begann: Das Bild erlosch. Schwarzes Quadrat. Mein Text – verschwunden. Ebenso die Putzfrau. Auf ihrem Wischmop war sie schon einen Schreibtisch weiter geritten.
    Mich packte Panik. Ein Notfall! Ich musste meinen Rechner wiederbeleben. Erster Versuch:

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