Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus
den wirtschaftlichen Erfolg der Organisation zu.«
Doch der Professor geriet in ein Irrenhaus: »Die drei Verantwortlichen des Unternehmens, die in der Gesprächsrunde das Sagen hatten, verfügten (â¦) über diagnostische Kompetenzen, die jeder beliebige Psychologiestudent des zweiten Semesters ohne die geringste Anstrengung in den Schatten stellen könnte.«
Der Auftritt des Gurus glich einer Satire: »Mein Name ist Schneemann, ich liebe die Menschen und will Gutes tun.« Und schon begann er, aus den Gesichtern der Personaler ihre Persönlichkeit zu lesen. »Sie wollen etwas leisten im Leben«, »Es ist Ihnen wichtig, ein gutes Verhältnis zu Ihren Mitarbeitern zu haben.« Zu Kanning sagte er in einem Gespräch über Kosten: »Herr Kanning, das habe ich doch gleich an Ihren groÃen Ohrläppchen gesehen, Sie sind geschäftstüchtig.« 26
Und was taten die Irrenhaus-Personaler? Lachten sie den Guru aus? Nein, Kanning erinnert sich: »Keiner der Vertreter des Unternehmens war in der Lage, auch nur die geringste Gegenwehr zu zeigen. Alle waren sichtlich beeindruckt.«
Renommierte Unternehmen greifen bei ihrer Personalauswahl auf den Rat eines Autolackierers zurück, der seine Binsenweishei ten mit der Farbe der Wissenschaftlichkeit ansprüht und unter an derem behauptet, der menschliche Kopf biete mehr als 200 Schädelareale, aus denen sich â rein äuÃerlich, anhand der SchädelÂ-
form â auf den Charakter schlieÃen lasse.
Und so rücken ganz neue Einstellungskriterien in den Vordergrund: die Form des Schädels, der Abstand der Augen, die GröÃe der Nase, die Ausprägung der Stirnfalten, ja sogar die Augenbrauen. In Schneemanns Buch »Wer bin ich? Wer bist du?« liest man verblüfft: »Leidenschaftliches Verhalten ist bei Menschen stark ausgeprägt, deren Augenbrauen über der Nasenwurzel zusammengewachsen sind.« 27 Dagegen seien Menschen mit buschigen Augenbrauen »begeisterungsfähig bis verwegen, bisweilen aber auch ängstlich und unversöhnlich«.
Selbst was die Lippen betrifft, sollte der Personaler nicht so sehr auf die Worte des Bewerbers, sondern mehr auf die Form des Mundes achten: »Die volle Oberlippe weist auf einen kontaktfreudigen Menschen hin. Er ist herzlich, aufmerksam und verbindlich. Angriffe und Beleidigungen werden schnell verziehen.« Also der ideale Kandidat für ein Irrenhaus, dessen Chef zu Ausrastern neigt!
Aber wehe, ein Kandidat hat gerade sitzende Ohren! Dann muss beim Personalprofi der Faulpelz-Alarm schrillen, wie SchneeÂmann beschreibt: »Das Bestreben, sich durch Leistung hervorzutun und die eigenen Anlagen aus Ehrgeiz zu aktivieren, ist bei Menschen mit gerade sitzenden Ohren nur wenig ausgeprägt.«
Doch was ist von Unternehmen zu halten, die einem solchen Guru folgen? Wie sicher darf der Bewerber sein, dass seine Bewerbung fair und professionell beurteilt wird?
Zumal es weitere Irrwege der Pseudodiagnostik gibt. Sicher ist Ihnen schon aufgefallen, dass in etlichen Stellenausschreibungen immer noch »handschriftliche« Lebensläufe verlangt werden. Ich kenne einen Generaldirektor, der Führungskräfte frühestens dann einstellt, wenn ihm ein Graphologe ein Gutachten als Unbedenklichkeitserklärung geschrieben hat.
Die Erkenntnisse der Graphologen klingen wie InterpretaÂtionen von Schulkindern: Wenn jemand in groÃen Buchstaben schreibt, deuten sie das als Zeichen der Selbstsicherheit. Wenn jemand ein enges Schriftbild produziert, gilt das als Hinweis auf eine starke Selbstbeherrschung. Und eine Schrift, die sich bis dicht an den Rand des Papiers drängt, gilt natürlich als Zeichen für einen Charakter, der viel Raum einnimmt und anderen Menschen wenig Platz lässt.
Jeder Bewerber erscheint den Irrenhaus-Direktoren als potentieller Schwindler, dessen Wort weniger wert ist als das windige Gutachten eines Scharlatans. Und zur Not erledigen die Personaler den Hokuspokus auch selbst â indem sie im Vorstellungsgespräch die Körpersprache mit Interpretationen überfrachten.
Einmal sagte ein Personaler zu mir: »Ist Ihnen aufgefallen, dass der Bewerber nichts von Teamarbeit hören wollte?«
Ich schüttelte den Kopf. »Im Gegenteil, er schien mir der Teamarbeit gegenüber recht aufgeschlossen.«
»Aber haben Sie nicht gesehen, dass er sich förmlich sein Ohr zugehalten hat?
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