Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus
Arbeitsrichter erkannte wohl, dass sein einziges Vergehen darin bestand, anderer Meinung als die Geschäftsleitung zu sein. Ein paar Monate später kam er nach einer erfolgreichen Kündigungsschutzklage zurück in die Firma.
Offenbar empfand unser Geschäftsführer das als persönliche Niederlage. Jedenfalls boykottierte er Sitzungen, wenn er Jens am Tisch sah. Er behandelte ihn wie einen schlimmen Feind.
Dienstlich hatte ich schon seit Jahren mit Jens zu tun. Kurz nach seiner Rückkehr unternahmen wir eine Dienstreise zu einem Kongress. Dabei war seine gescheiterte Entlassung das Hauptthema: Er schilderte mir, wie sich die Firma vor Gericht in Widersprüche verwickelt und blamiert hatte.
Direkt nach der Reise bat mich unser Geschäftsführer in sein Büro: »Sie waren ja mit Herrn Heigel unterwegs. Sie wissen, welche Schwierigkeiten wir mit ihm haben?«
Ich nickte.
In väterlichem Ton fuhr er fort: »Ich glaube, es wäre gut für den Betriebsfrieden, wenn er uns verlieÃe. Aber es fehlt noch der Tropfen, der das Fass zum Ãberlaufen bringt.«
Erwartungsvoll blickte er mich an. Ich sagte schnell: »Auf unserer Fahrt hat er nichts Schlimmes über die Firma gesagt.« (Das war gelogen!)
»Das meine ich auch nicht«, sagte er. »Aber Sie waren doch im Auto allein mit ihm. Ich frage mich, ob er sich Ihnen gegenüber korrekt verhalten hat.«
»Wie meinen Sie das?«
Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Nun, er könnte ja â wie soll ich mich ausdrücken? Er könnte ja etwas Unsittliches getan haben.«
»Hat er aber nicht!«
»Denken Sie einfach noch mal darüber nach. Es wäre nicht zu Ihrem Nachteil, wenn Ihnen etwas einfiele. Und behandeln Sie dieses Gespräch bitte vertraulich.«
Ich ging. Der Zorn pochte in meinen Schläfen. Hatte er ernsthaft geglaubt, ich würde einen sexuellen Ãbergriff erfinden, um mich zur Henkers-Gehilfin zu machen? Und woher nahm er eigentlich die Sicherheit, dass ich nicht direkt zu Jens lief, um ihn über diese Sauerei zu informieren?
Aber als alleinerziehende Mutter war ich auf meinen Arbeitsplatz angewiesen. AuÃerdem gab es für das Gespräch keine Zeugen. Er hätte mich der Lüge bezichtigen können.
Drei Wochen später sprach mich mein Büronachbar auf dem Flur an: »Schon gehört? Jens ist entlassen worden!«
»Mit welcher Begründung diesmal?«, fragte ich.
Er rückte näher. »Man sagt, er habe eine Kollegin belästigt: Tina.«
Ich fiel aus allen Wolken. Sofort war mir zweierlei klar: Der Chef hatte doch noch eine Dumme gefunden. Und Tina würde bald Karriere machen.
Anita Albrecht, Projektleiterin
Betr.: Warum unser Sparkassenchef mit dem Auge einstellt
Wer unsere weiblichen Azubis anschaut, könnte meinen, wir wären keine Sparkassen-Filiale, sondern eine Modelagentur: alle bildhübsch, modisch gekleidet, perfekt gebaut. Niemals Durchschnittsgesichter, niemals ein Pfund an der falschen Stelle. Immer nur Schönheitsköniginnen, vorzugsweise in Blond.
Unser Geschäftsführer (63) wählt die Azubis selbst aus. Jedes Mal, wenn Vorstellungsgespräche laufen, schauen wir uns die Bewerberinnen beim Betreten seines Büros an. Dann schlieÃen wir Wetten ab, welche das Rennen macht. Wir müssen keine Zeugnisse kennen, keine Gespräche verfolgen. Einfach schauen: Welche ist der Typ des Chefs? Und schon wissen wir, für wen er sich entscheiden wird.
Leider sind die schönsten Bewerberinnen nicht immer die kompetentesten. Im Alltag habe ich etliche an der Berechnung von Zinseszins scheitern sehen. Einige halten (die Eigenkapital-Vorschrift) »Basel II« für Basels zweite FuÃballmannschaft und »Hypotheken« für einen Ort, an dem man sich Drinks spendieren lassen kann. In Kundengesprächen sind sie aufgeschmissen, sobald von ihnen eine Antwort erwartet wird, die über Wimpern-Geklimper hinausgeht. Wir anderen Mitarbeiter müssen solche Unzulänglichkeiten ausbaden.
Mittlerweile fallen wir sogar an der Berufsschule auf: Immer wieder sind Schülerinnen aus unserem Haus versetzungsÂgefährdet. Kein Wunder, stellt der Chef doch weibliche Azubis ein, deren Schulzeugnisse einzige Katastrophenberichte sind. Unsere Personalchefin ist ganz verzweifelt. Dagegen läuft bei den männlichen Azubis, einer aussterbenden Minderheit, nichts unter einem guten
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