Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus
Allerdings scheint auch die Datenschutzbehörde ein Irrenhaus zu sein, denn sie verzichtete auf eine Geldstrafe mit der rührenden Begründung, Daimler habe das Bewusstsein gefehlt, dass bei den medizinischen Untersuchungen auch sensible persönliche Daten erhoben wurden. 30 Diese Begründung klang wie die eines Richters, der einem 14-jährigen Kioskeinbrecher mangelnde Reife Âattestiert. Dabei hatte der Täter rund 130 Lebensjahre auf dem ÂBuckel (rechnet man die Gründung der Benz Motorenfabrik als Geburtsdatum). Tritte in den Bauch des Datenschutzes sind kein Kavaliersdelikt. Da hätte die Datenschutzbehörde mehr Verstand beim Täter voraussetzen und mehr Strenge beim Urteil walten lassen müssen.
Aber vielleicht kam dem Irrenhaus Daimler zugute, dass es sich in prominenter Gesellschaft befand: Die Unternehmen Beiersdorf und Merck hatten Bewerber ebenfalls bluten lassen. 31 Da sind schon mal ein, zwei Ampullen Blut für den guten Zweck, sprich die neue Stelle, geflossen. Aber die Beiersdorf-Sprecherin Claudia Fasse konnte den Bewerbern ein starkes Beruhigungsmittel verabreichen: Natürlich habe man »auf Schwangerschaft, Aids, Drogen, Gendefekte und Tumore« nicht getestet. Und noch nie sei ein Bewerber wegen seiner Blutwerte abgelehnt worden.
Mit anderen Worten: Das Irrenhaus Beiersdorf betreibt einen Riesenaufwand, gibt Millionen für Bluttests aus â und die haben noch nie eine Personalentscheidung beeinflusst, sind also überflüssig? Und der Controller macht dazu ein fröhliches Gesicht?
Wer das glaubt, wird selig. Oder Pressesprecherin.
§ 14 Irrenhaus-Ordnung: Schwere Dummheiten ziehen eine Blutentnahme nach sich. Das gilt für Alkoholfahrten, Triebverbrechen und Bewerbungen bei Irrenhäusern.
Irrenhaus-Sprechstunde 7
Betr.: Wie ich im Vorstellungsgespräch
zum Clown wurde
Nie werde ich mein Vorstellungsgespräch bei der Niederlassung eines amerikanischen Lebensmittel-Konzerns vergessen. Der Personalchef, ein 150-Kilo-Mann, lehnte sich weit in seinem Stuhl zurück und eröffnete das Gespräch mit den Worten: »Bitte lassen Sie sich etwas einfallen, um mich die nächsten zehn Minuten zu unterhalten!«
Mir war, als würde er noch tiefer in seinem Stuhl versinken, offenbar meinte er das ernst! Wäre ich als Clown, Zauberer oder Conférencier angetreten: Sicher hätte ich Purzelbäume schlagen, Witze erzählen oder Kaninchen aus dem Hut zaubern können. Aber eigentlich wollte ich nur Leiter der Qualitätssicherung werden!
Was sollte ich jetzt tun? Die Zeit schien zu rasen, das Schweigen wie eine Mauer zwischen ihm und mir zu wachsen. Er hing unbewegt in seinem Stuhl.
Nach einiger Zeit fand ich meine Sprache wieder. Ich tat, worauf ich mich vorbereitet hatte: Fragen beantworten. Nur dass ich sie mir selber stellte: »Wenn Sie mich jetzt fragen würden, was ich Ihnen über mich erzählen möchte, dann würde ich Ihnen sagen â¦Â« Ausdruckslos sah er zu, wie ich seinen Job machte. Als ich meinen Lebenslauf erläutert hatte, schaute ich ihn erwartungsvoll an. Er sagte: »Noch fünf Minuten!«
Schweià trat auf meine Stirn. Sollte ich zu seiner Unterhaltung stepptanzen oder auf der Fensterbank balancieren (wir waren im achten Stock)? Ich machte weiter wie gehabt: »Wenn Sie mich nach meinen Stärken fragen würden, dann â¦Â« Ich sprach über meine Schwächen, meine Erfolge, meine Pläne in fünf Jahren. »Stopp!«, rief er, als ich gerade von meiner Zukunft erzählte. »Zehn Minuten sind vorbei, jetzt habe ich noch ein paar Fragen.«
Was nun folgte, wirkte auf mich wie eine Realsatire. Unter anderem wollte er wissen: »Wie kann man einen Raum betreten, wenn die Tür verschlossen ist?« Und: »Wenn Sie ein Tier sein müssten, welches wären Sie gerne?« Am liebsten hätte ich geantwortet: »Dasselbe wie Sie: ein dummer Esel!« Aber ich beherrschte mich und sagte: »Ich wäre gern ein Adler in der Luft. Von oben, aus der Meta-Perspektive, hat man als Führungskraft die systemischen Zusammenhänge besser im Blick.« Mir war diese Antwort peinlich; ich hielt das für pseudo-kluges Geschwätz. Doch er nickte voller Anerkennung. Offenbar hatte ich einen Treffer bei ihm gelandet.
Seine Abschlussfrage brachte mich noch einmal in Verlegenheit: »Wenn Sie mein Chef wären, der mich bei diesem Gespräch beobachtet
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