Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus
untersagte per Arbeitsvertrag »intime Beziehungen mit anderen Firmenangehörigen«.
Doch es dauerte nicht lange, da begann ich mit einem Kollegen zu flirten. Unter anderen Umständen hätte ich mich kaum aus der Deckung gewagt. Aber hier, in der Verbotszone, hatte ich das Gefühl, dass nichts passieren konnte, weil nichts passieren durfte.
Natürlich passierte es doch! Wir verliebten uns so heftig, dass wir bald jede freie Minute miteinander verbrachten. Damit begann ein Martyrium. Denn unsere Liebe durfte offiziell nicht existieren. Wir mussten sie verbergen wie einen Bankraub.
Das war die schwerste Ãbung meines Lebens: einen geliebten Menschen so zu behandeln, als wäre er ein x-beliebiger Kollege. Ihn morgens nur kurz zu grüÃen, ihm niemals durchs Haar zu wuscheln, niemals ins Ohr zu flüstern. Mein Herz zog sich jedes Mal zusammen, wenn wir uns mit so viel Kälte behandelten. Und da wir uns den ganzen Arbeitstag lang über den Weg liefen, war mein Herz rund um die Uhr verkrampft.
Das Versteckspiel ging schon am Morgen los: Wir kamen im selben Auto gefahren, durften aber, um keinen Verdacht zu erregen, nicht aus demselben Auto steigen. Also lieà er mich ein paar Ecken weiter aussteigen und fuhr alleine vor. Ich lief noch ein paar sinnlose Runden um den Block, ehe ich deutlich nach ihm zur Arbeit kam.
Abends dasselbe Spiel: Einer von uns ging als Erster in den Feierabend und wartete hinter der nächsten Ecke im Fluchtwagen, bis der andere kam. Dann: kein Küssen, kein Streicheln â nur losrasen mit gesenkten Häuptern, um in der Nähe der Firma nicht gemeinsam gesehen zu werden.
Früher hatte ich einen guten Draht zu meinen Kolleginnen und habe viel aus meinem Privatleben erzählt. Damit war es jetzt vorbei. Die Firma zwang mich, Märchentante zu werden. Das ging los bei den einfachsten Fragen: »Was hast du gestern Abend gemacht?« Eigentlich hätten mein Freund und ich eine gemeinsame Geschichte erzählen können. So log sich jeder seine eigene Story zurecht.
Immer öfter dachte ich bei der Arbeit über Fragen nach wie: »Haben wir einen Fehler gemacht? Habe ich mich heute Morgen verplappert? War dieser Blick, den ich ihm zuwarf, ein Blick zu viel?« An meiner Kasse traten immer mehr Abrechnungsfehler auf. Meine Vorgesetzte merkte das und nahm mich zur Seite: »Ich habe das Gefühl, dass Sie nicht mehr konzentriert sind. Belastet Sie etwas?«
Am liebsten hätte ich ihr mein Herz ausgeschüttet. Aber das ging nicht. In der Vergangenheit waren Paare, deren Beziehung aufgeflogen war, durch Abmahnungen verfolgt und durch Strafversetzungen auseinandergerissen worden. Einmal hatte eine Verkäuferin sogar in eine 150 Kilometer entfernte Stadt gemusst. Eine drakonische Strafe für das schlimmste aller Delikte: Liebe.
Am Ende hielt ich diese Tortur nicht mehr aus: Ich kündigte und fand eine neue Anstellung in einem Kaufhaus. Es war für mich eine Befreiung, als ich wieder erzählen konnte, wie ich mein Wochenende verbracht hatte. Und wie gut ich mich mit meinem Freund verstand!
Als mein neuer Vorgesetzter erfuhr, dass mein Freund auch Einzelhandelskaufmann war, sagte er sofort: »Wenn er mal was sucht, geben Sie ihm meine Telefonnummer â gute Leute brauchen wir immer.« Ein knappes Jahr später arbeiteten wir wieder in derselben Firma. Niemand hatte etwas dagegen. Wir ergänzten uns bei der Arbeit wunderbar.
Unser alter Konzern hatte durch sein Liebesverbot zwei engagierte Mitarbeiter vertrieben, und mir wurde klar: Nur eine Beziehung, die ich in den letzten Jahren gestartet hatte, war ein massiver Fehler gewesen â die Arbeitsbeziehung mit dieser bescheuerten Firma.
Petra Brandt, Einzelhandelskauffrau
Betr.: Wie mir mein Chef einen sexuellen Ãbergriff einreden wollte
Jeder wusste, wofür der Geschäftsführer unseren Kollegen Jens Heigel hielt: für einen Störenfried. Jens hatte drei Fehler: Er war Gewerkschaftsmitglied, er sagte die Wahrheit, und er sagte sie auch noch laut. So hatte er bei einer Betriebsversammlung gegen eine Nullrunde bei den Gehältern protestiert. Die meisten Kollegen fanden sein Engagement gut, waren aber zu feige, es zu unterstützen. In den letzten Jahren hatten Kündigungen und Outsourcing ein hässliches Loch in unsere Personaldecke geÂrissen.
Jens hatte schon mehrere Abmahnungen und sogar eine Entlassung kassiert. Aber der
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