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Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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berichten – etwas stammelnd, da verunsichert –, als der Inhaber aufsprang, seinen Kopf wie eine Löwenmähne schüttelte und zu dem Personaler fauchte: »Das reicht jetzt! Das wird nichts!« Mit diesen Worten verließ er den Raum.
    Peinliches Schweigen. Der Personaler rutschte verlegen auf seinem Stuhl hin und her. »Wir können das Gespräch gerne zu Ende führen«, bot er hilflos an, »Sie hatten ja eine weite Anreise«. Aber warum sollte ich einen Gerichtsprozess zu Ende führen, dessen Urteil schon gegen mich gefallen war?
    Beim Abschied sagte der Personaler noch: »Unser Chef ist halt ein sehr direkter Mensch.« Wenn Sie mich fragen: Er war nicht direkt, sondern der größte Stoffel des Jahrhunderts.
    Brigitte Fehrenbach, Analystin
    Betr.: Wie ich als Bewerber bestellt,
aber nicht abgeholt wurde
    Ich war extra von München nach Düsseldorf geflogen, um mich bei einer inhabergeführten Werbeagentur als Texter vorzustellen. Doch die Sekretärin glotzte mich an wie einen Geist: »Ihr Gespräch ist doch verschoben worden!«
    Â»Davon weiß ich nichts«, sagte ich verblüfft.
    Â»Aber der Chef hat Sie persönlich informiert; das muss doch bei Ihnen angekommen sein.«
    Sie klang misstrauisch, als hätte sie Grund zu der Annahme, ich sei aus Trotz von München nach Düsseldorf geflogen, nur um nun mit dem dümmsten Gesicht dieser Erde vor ihr zu stehen.
    Â»Wann haben Sie denn zuletzt in Ihre Mails geschaut?«, wollte sie wissen.
    Â»Gestern Abend«, sagte ich.
    Â»Na dann!«, sagte sie vorwurfsvoll.
    Ich spürte, wie Zorn in mir aufstieg: »Hören Sie mal, ich muss doch davon ausgehen können, dass ein vor zwei Wochen vereinbarter Termin am Tag des Vorstellungsgespräches noch gilt!«
    Â»Wir sind eine schnelllebige Branche«, gab sie schnippisch zurück.
    Leider konnte sie mir nicht sagen, wann der Ersatztermin stattfinden sollte. Der Inhaber war bis zum Abend in einem Kundentermin und nicht ansprechbar. Unverrichteter Dinge musste ich wieder nach München fliegen.
    Zurück an meinem PC , stellte ich fest: Ich hatte am selben Morgen um 7.34 Uhr eine Mail des Agenturleiters erhalten, Betreff: »Terminverschiebung um einen Tag«. Einen Tag! Ich hätte also in Düsseldorf bleiben können, statt zweimal anzureisen.
    Am liebsten hätte ich den Termin abgeblasen. Doch da ich den Job unbedingt wollte, organisierte ich mir in Windeseile ein neues Ticket und flog am nächsten Morgen erneut. Ich war gespannt, wie der Chef sich für die Terminpanne entschuldigen würde.
    Doch schon bei der Begrüßung spottete er: »Ah, hier kommt der Mann ohne Smartphone.« Und mit breiter Brust fügte er hinzu: »Meine Mail von gestern hätte Sie doch eigentlich noch erreichen müssen; um diese Zeit konnten Sie noch nicht im Flugzeug sitzen.«
    Das Gespräch lief miserabel, ich kam kaum zu Wort. Und er machte pausenlos auf dicke Hose, schwafelte von New York, von Großkunden, von Millionenkampagnen. Sogar zwei Handy-­ Gespräche nahm er zwischendurch an. Zum Abschied sagte er: »Und wenn Sie künftig Termine haben – rufen Sie vorher mal Ihre Mails ab!«
    Drei Wochen lang hörte ich kein Wort von der Agentur. Dann rief ich an, um zu fragen, ob es eine Entscheidung gab. Die Sekretärin maulte: »Sie sind doch längst aus dem Rennen!« Vielleicht hätte ich das wissen müssen. Zum Beispiel durch Hellseherei.
    Eine Mail hatte ich diesmal nicht bekommen.
    Mike Miller, Werbetexter

Mit der Tundra im Gespräch
    Warum muss ein Bewerber auf die Minute pünktlich sein? Damit ihn das Irrenhaus gebührend warten lassen kann! Etwa jedes dritte Vorstellungsgespräch beginnt verspätet. Und etwa jeder dritte Chef geht garantiert ohne Vorurteile ins Gespräch – weil ihm der Lebenslauf des Bewerbers so fremd ist wie die südliche Tundra. Deshalb sucht er intensiven Blickkontakt während des Gespräches: mit dem Lebenslauf vor ihm auf dem Tisch.
    Aber wehe, der Bewerber hat sich nicht vorbereitet! Er muss die Geschichte der Firma mindestens so gut beherrschen, dass er die 350-seitige Firmenmonographie, ginge sie verloren, sofort im Wortlaut rekonstruieren könnte. Alle Umsatzzahlen der letzten fünf Jahre muss er wie im Schlaf aufsagen und die Namen der Firmenbosse wie die Thronfolge einer Monarchie runterrattern können.
    Irrenhäuser

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