Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus
lassen den Bewerber spüren, dass er etwas von ihnen will, sie aber nicht von ihm. Zum Beispiel bestätigen sie den Eingang einer Bewerbung frühestens dann, wenn das Dokument aufgrund seines Alters fürs Völkerkundemuseum interessant wird â gefühlte 150 Jahre später.
Oder gar nicht. Als Wissenschaftler der Universität Konstanz 528 fiktive Online-Bewerbungen verschickten, eine Hälfte unter deutschen Namen, eine Hälfte unter türkischen, war das Ergebnis erschütternd: 28 Unternehmen gaben den jungen Wirtschaftswissenschaftlern »Tobias Hartmann« und »Dennis Langer« eine positive Antwort â während sie »Fatih Yildiz« und »Serkan Sezer« nicht mal absagten. Die Chancen, den Job zu bekommen, lagen für Tobias und Dennis in kleinen Unternehmen um ein Viertel höher, insgesamt um 14 Prozent â bei exakt der gleichen Qualifikation. 32 Die Treffsicherheit einer Personalauswahl, die den Namen zum Entscheidungskriterium erhebt, kann man sich lebhaft vorstellen.
Die ideale Irrenhaus-Antwort verbindet Peitsche und Zuckerbrot. Die Firma bedankt sich bei dem Bewerber für sein Interesse â und damit dieser Dank auch glaubwürdig rüberkommt, teilt sie ihm mit, dass er seine Anfahrtskosten zum Vorstellungsgespräch selbst tragen und bitte schön ein polizeiliches Führungszeugnis mitzubringen habe.
Immerhin sind die Irrenhäuser realistisch genug, die kriminelle Energie richtig zu verorten: Führungszeugnisse werden, wie das ManagerMagazin beklagt, bevorzugt von Führungskräften gefordert. Sogar Privatermittler, darunter ehemalige Stasi-Leute, setzen die misstrauischen Firmen auf Bewerber an. Zur Not tritt der Ermittler in den Golfclub des angehenden Managers ein und löchert ihn unauffällig zwischen den Löchern. 33 Das nennt sich »Executive Integrity Assessment«, was übersetzt so viel heiÃt wie: gehobene Schweinerei.
Doch Schweinereien kann auch die einfache Arbeiterin erleben, wie ausgerechnet eine Wurstfabrik bewies, Kemper aus Nortrup: 34 Bewerberinnen wurden von dem Betrieb, der 270Â Millionen Euro pro Jahr umsetzt, kurzerhand zum Schwangerschaftstest gebeten. Am Ende der Probezeit stand ein zweiter Test an. Wer schwanger war, flog raus. Das haben mehrere Frauen berichtet. Der Wurstfabrikant streitet den zweiten Test ab.
Ruppig verlaufen können Vorstellungsgespräche auch sonst: Einige Irrenhaus-Direktoren glauben, eine unverschämte Frage sei keine Unverschämtheit mehr, wenn man sie zum Teil eines Stressinterviews erklärt. Zum Beispiel wurde eine Softwareentwicklerin gebeten: »Können Sie mal ausnahmsweise eine kluge Antwort geben?« Und von einem Versicherungs-Mathematiker wollte man wissen: »Warum hält Ihr jetziger Chef Sie für so unfähig, dass er Sie nicht befördert?«
Solche Fragen müssen als unverschämt, als verbale Blähungen gelten â warum sollten die Antworten appetitlicher sein? Winston Churchill schrieb: »Mit dem Geist ist es wie mit dem Magen: Man sollte ihm nur Dinge zumuten, die er verdauen kann.«
Etliche Bewerber haben mir berichtet, dass sie in Konzernen mit amerikanischer Wurzel wie Zirkus-Ãfflein von Büro zu Büro geschleppt wurden, damit sie jeder potentielle künftige Kollege ein paar Minuten beglotzen, befragen und mit offenem Feedback beleidigen durfte (»Einen Exzentriker wie Sie kann ich mir in unserem Team überhaupt nicht vorstellen!«). Solche Konfrontationen werden nur deshalb »Vorstellungsgespräche« genannt, damit Amnesty International nicht Alarm schlägt.
Es gibt zwei Möglichkeiten, wie ein Bewerber die Fragen der Irrenhäuser im Vorstellungsgespräch beantworten kann: falsch oder falsch. Zum Beispiel hat sich eine Klientin von mir bei einem Reifenhersteller beworben. Das Gespräch war wie am Schnürchen gelaufen. Doch gegen Ende hob der Personaler noch mal zu einer Frage an: »Wäre es für Sie auch denkbar, eine andere Stelle im Marketing anzunehmen?« Meine Klientin bejahte. Die GesprächsÂführer zuckten zusammen.
Später bekam sie eine Absage und erfuhr auf Nachfrage: »Wir haben uns jemanden gewünscht, der speziell diese Stelle will.« Aber hatte das Profil der ausgeschriebenen Position nicht ausdrücklich »Flexibilität« gefordert? Und hatte meine Klientin diese Eigenschaft nicht durch ihre Antwort
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