Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus
der Hand gefallen: Woher wusste die Zeitung, dass sie sich beworben hatte? Und wie kam der Redakteur darauf, ihr zu einer Stelle zu gratulieren, die sie noch gar nicht hatte?
Doch ihren Widerspruch wischte der Redakteur weg: »Glauben Sie mir, ich weià es ganz sicher. Gerade hat das Bürgermeisteramt eine Pressemitteilung verschickt, dass Sie zum 1. Juli bei uns anfangen.«
»Bitte veröffentlichen Sie nichts«, sagte sie. »Ich habe noch keine Zusage. Und ich habe noch nicht gekündigt.«
Doch am nächsten Tag fand sie im Internet folgende Ãberschrift: »Neuer Wind von der Schwäbischen Alb â Doris Inger übernimmt den Kurbetrieb«. Der Text zeichnete die beruflichen Stationen ihres Lebenslaufes nach. Und geschmückt wurde der Beitrag von einem riesengroÃen Foto â ihrem Bewerbungsbild!
Ihr Hals verengte sich: Was, wenn ihr jetziger Arbeitgeber davon Wind bekam? Wahrscheinlich würde er sie entlassen, ehe sie kündigen könnte â mit einem Arbeitszeugnis, das man im Juristen-Lehrbuch als Musterbeispiel für üble Nachrede hätte abdrucken hätte können.
Aufgelöst rief sie den Bürgermeister von O-Dorf an. Der trällerte ins Telefon: »Aber wir bieten Ihnen doch einen Arbeitsvertrag an. Heute hätten Sie das von mir erfahren.« Dass dieser Vertrag noch nicht einmal unterschrieben, ihr Wechsel aber durch die Veröffentlichung bereits publik war â der Bürgermeister sah kein Problem darin.
Es gibt viele Geheimnisse, die Firmen vorzüglich hüten; Bewerbungsunterlagen gehören nicht dazu. Ein anderes Beispiel für die Weitergabe vertraulicher Unterlagen habe ich kürzlich erlebt, als sich ein Werbetexter aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis bei einer anderen Agentur beworben hatte. Von dort erhielt er nach drei Wochen die Antwort: »Vielen Dank für Ihre Bewerbung. Leider haben wir im Moment keinen Personalbedarf. Ihr Einverständnis voraussetzend, haben wir Ihre Bewerbung an unsere Partneragentur âºLöwer & Friendsâ¹ weitergeleitet â¦Â«
Doch für die »Löwer« arbeitete der ehemalige Geschäftsführer der jetzigen Agentur meines Klienten, ein klatschsüchtiger Typ, der noch beste Kontakte zum alten Arbeitgeber unterhielt â weshalb sich mein Klient dort ganz bewusst nicht beworben hatte. Tatsächlich wurde er schon nach ein paar Tagen von seinem Chef angesprochen: »Wir haben gehört, es gefällt Ihnen bei uns nicht mehr?«
Ein verrückter Vorgang: Persönliche Unterlagen werden â (nicht vorhandenes) »Einverständnis voraussetzend« â einfach an eine andere Firma geschickt! Das ist so, als würde ein Arbeitnehmer â »Einverständnis voraussetzend« â die Betriebsgeheimnisse einer Firma mit einer GieÃkanne über den Wettbewerbern auskippen.
Der typische Fall von Indiskretion passiert im Mittelstand: Der Empfänger von Ralf Müllers Bewerbung will sich nicht mit den Unterlagen begnügen, er möchte persönliche Einschätzungen hören. Da trifft es sich gut, dass man â die Branche ist ja klein! â über ein paar Kontakte zu der aktuellen Firma des Bewerbers verfügt. Und so klingelt bei einem Kollegen von Ralf Müller das Telefon: »Sag mal, bei euch arbeitet doch schon lange der Ralf Müller. Was ist das eigentlich für einer?« Idealerweise ruft der Spion gleich mehrere Kontaktleute beim alten Arbeitgeber an, die sich dann wiederum über diese Anrufe austauschen.
Genauso gut könnte der Bewerbungsempfänger einen HeiÃluftballon an den Fenstern des aktuellen Arbeitgebers vorbeifliegen lassen, mit dem riesengroÃen Transparent: » ACHTUNG! RALF MÃLLER HAT SICH BEI UNS BEWORBEN! «
Immerhin können sich die deutschen Firmen auf ein prominentes Vorbild berufen. Die UN -Organisation Unesco riss Zehntausenden Bewerbern die Hosen runter und stellte ihre Unterlagen ins Internet. 35 Weltweit war nachzulesen, unter welcher Adresse ein Bewerber firmierte, welches Gehalt er forderte und wo er bislang seine Brötchen verdient hatte. Sogar ein Flirtversuch wurde aufgedeckt: »Die Unesco und ich, das könnte eine Liebesgeschichte werden«, hatte eine Bewerberin geschrieben. Erst mehrere Wochen, nachdem bloÃgestellte Bewerber dagegen protestiert hatten, stopfte das Irrenhaus die Sicherheitslücke.
Der Verrat von
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