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Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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waren sauer. Hatte man einige nicht mit Gehältern der halben Höhe abgespeist, unter Hinweis darauf, mehr Geld sei nicht da? Und warum gab es für sie keine so fetten Punkteprämien und Sonderzahlungen?
    Niemand wusste darauf eine Antwort, am wenigsten Teamchef Sandro Schwarz. »Das ist eine Vollkatastrophe«, gab er unumwunden zu. Auch Vizepräsident Markus Hankammer schimpfte: »Das ist eine Schweinerei.« Und blies zur Maulwurfs-Jagd. Dabei wäre der Weg zu demjenigen, der diese besoffenen Gehälter genehmigt hatte, kürzer gewesen – vielleicht hätte ein Blick in den nächsten Spiegel einen sachdienlichen Hinweis geliefert?
    Doch nicht nur in Fußballstadien, auch in Medienhäusern ­fühlen sich Maulwürfe wohl. Zum Beispiel bei Spiegel TV . Deren Rechercheure wühlen gern im öffentlichen Leben, bis sie einen Skandal ausgegraben haben. Aber was, wenn der Maulwurf in der eigenen Firma buddelt und schlagzeilenträchtige Fakten ans Licht bringt?
    2011 herrschte bei Spiegel TV eine Stimmung, neben der jede Trauerprozession wie ein Faschingsumzug gewirkt hätte: Ein radikaler Stellenabbau war angekündigt und mit harter Hand begonnen worden, 35 Arbeitsplätze sollten gestrichen werden. 68 Dabei schoss das mediale Irrenhaus seine giftigen Kündigungs-Pfeile in letzter Sekunde ab – und die Mitarbeiter duckten sich, wo sie konnten; einige montierten sogar die Klingelschilder ab, damit sie nicht getroffen wurden. Der Personalchef, der für diese irren Manöver verantwortlich war, nahm später seinen Hut. Der Grund für die Entlassungen? Geld fehlte. Lukrative Produktionen waren angeblich weggefallen. Dass auf Teufel komm raus gespart werden musste, stand für das Irrenhaus fest. Und zu wem der Teufel kam, war ebenfalls klar: zu den Insassen, nicht zu den Direktoren.
    Und während alle vom Gürtel sprachen, der enger geschnallt werden müsse, während die Schreibtische der frisch entlassenen Kollegen verwaist blieben, während sich mehr Arbeit auf weniger Schultern stapelte, flatterte der kompletten Belegschaft eine anonyme Mail ins Postfach. Sie wandte sich an die »Liebe(n) Kolleginnen und Kollegen«, war um 9.30 Uhr abgeschickt worden und, wie es sich für Spiegel TV gehört, druckreif und pointiert formuliert:

    Â»Weil sich schon jetzt abzeichnet, dass der Etat 2011 in sich zusammenfällt und trotz aller Dementis die nächste Entlassungswelle vorbereitet wird, haben wir folgenden Vorschlag: Schmeißt endlich diejenigen raus, die Spiegel TV in die Grütze reiten.«
    Mit offenem Mund starrten die Mitarbeiter auf den Anhang, die eingescannten Gehaltszahlen der Führungskräfte. Darin spiegelte sich, vorsichtig gesagt, nicht gerade eine Krise. Nicht weniger als 17 (!) Irrenhaus-Direktoren kassierten jeweils zwischen 160 000 und 350 000 Euro pro Jahr. Zur gleichen Zeit kegelten sie Mitarbeiter vor die Tür, die nicht mal ein Viertel davon verdienten, und sangen das hohe Lied des Sparens.
    Alle, Mitarbeiter wie Direktoren, waren sich einig: ein »ungeheuerlicher Vorgang«. Nur meinte die Irrenhaus-Direktion mit dieser Formulierung etwas anderes als die Angestellten: Sie dachten ausschließlich an die Veröffentlichung der Zahlen. Nicht die Höhe der eigenen Gehälter, nicht die würdelose Entlassungs-Treibjagd auf Mitarbeiter fanden sie unmoralisch, sondern nur die Tatsache, dass ein Maulwurf es gewagt hatte, in ihre »Privatsphäre« einzudringen.
    Vorschlag fürs Tierlexikon: Als idealer Lebensraum des Maulwurfs kann das Irrenhaus hinzugefügt werden. Aktiv wird er vor allem dann, wenn seine feine Nase einen beißenden Geruch wahrnimmt: den von Ungerechtigkeit.
    Â§ 29 Irrenhaus-Ordnung: Wenn ans Licht kommt, dass ein Manager unsittlich viel verdient, ist nicht der Manager schuld daran, sondern das Licht.
    Der Gehalts-Überfall
    Wer zu seinem Chef geht, um mehr Gehalt zu fordern, fühlt sich wie ein Bankräuber auf dem Weg zum Schalter. Gleich geht ein großes Geschrei los! Gleich heult der Alarm! Gleich verriegeln sich alle Tresore automatisch! Es läuft auf ein einsames Duell ­hinaus zwischen dem Insassen und seinem Irrenhaus-Direktor.
    Beide Hauptdarsteller, Räuber und Direktor, maskieren sich für die Verhandlung. Anstelle eines Schlapphutes trägt der Mitarbeiter ein demonstratives Selbstbewusstsein, auch wenn seine Stimme so dünn ist, dass er

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