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Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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Mickey Mouse synchronisieren könnte. Und der Irrenhaus-Direktor, mag er auch auf vollen Kassen sitzen, schlüpft in die Rolle des Mannes mit den leeren Taschen.
    Sparen, sparen, sparen: Nach diesem Motto agieren die Irrenhäuser in den Gehaltsverhandlungen. Die Frage ist nicht: Wie gut macht ein Mitarbeiter seinen Job, was bringt er der Firma, wo liegt sein fairer Gegenwert? Nicht: Was müssen wir dem Mitarbeiter bieten, damit er motiviert bleibt, Fortschritte machen und eine Perspektive sehen kann? Die Frage ist nur: Wie können wir ihn drücken?
    Kein anderes Thema ist mit so vielen Tabus behaftet wie das Gehalt. Etliche Irrenhäuser verbieten den Austausch über die Vergütung per Vertrag, obwohl das juristisch nicht statthaft ist. 69 Die Gehaltsstrukturen sind schief wie der Turm von Pisa. Dass sich zwei Kollegen ein Büro und eine Arbeit teilen, aber einer bekommt im Monat 2000 Euro, der andere 3000, solche Fälle erlebe ich immer wieder. Schweigeklauseln in Verträgen sollen als Augenbinde wirken. Doch sie schärfen den Blick der Mitarbeiter, als würde ein Ehepartner in den Ehevertrag schreiben: »Die Recherche über Seitensprünge ist verboten!«
    Was tut ein Gehaltsräuber, wenn er schon weiß, wie unerwünscht sein Besuch ist? Er setzt auf den Überraschungseffekt. Mit einem Schlag steht er vor seinem Direktor, hält ihm die Verbal-Pistole an den Kopf und zischt: »Mehr Gehalt oder ich bin weg!« In ungeübten Ohren mag das wie eine Erpressung klingen (weil es Erpressung ist), doch auf Samtpfötchen läuft hier gar nichts. Chefs sind trainiert darin, Spielzeugpistolen von echten Waffen zu unterscheiden. Ein sicheres Zeichen dafür, dass der Gehaltsräuber nicht scharf schießen wird, ist zum Beispiel der Konjunktiv. Wer zu seinem Chef sagt: »Es wäre schön, wenn ich mal wieder eine Gehaltserhöhung bekommen könnte«, hat gleich vier Fehler in einem Satz begangen.
    Der erste Fehler heißt »wäre«, der zweite heißt »könnte« – diese Konjunktive verraten: Der Gehaltsräuber meint es nicht ernst! Mit seinen Spielzeug-Worten fuchtelt er vor der Nase des Direktors herum, doch er deutet bereits an: Zur Not zieht er unverrichteter Dinge ab. War ja nur ein Versuch! Danach wird er seine Arbeit genauso treu, genauso fleißig und vor allem genauso billig verrichten wie vor dem Überfall. Warum sollte der Irrenhaus-Direktor einem so unentschlossenen Gehaltsräuber nachgeben?
    Der dritte Fehler des Räubers: Durch die Aussage, er wolle »mal wieder« eine Gehaltserhöhung, kratzt er beim Direktor eine alte Wunde auf: Kann es sein, dass dieser Mitarbeiter in der jüngsten Vergangenheit, sagen wir vor 15 Jahren, schon mal bei einem Gehaltsraub erfolgreich war? Dass er nun, immer noch übermütig, an den Ort seiner Untaten zurückkehrt? Und dass er, wenn er jetzt erfolgreich wäre, jeden zweiten Tag mit einer neuen Forderung käme?
    Der Irrenhaus-Direktor macht dicht wie ein Tresor. Diese Wiederholungstat will er mit allen Mitteln verhindern! Erst recht, weil der Räuber noch einen vierten Fehler begangen hat: Er sprach von einer »Gehaltserhöhung«. Dieses Wort hat in den Ohren seines Direktors denselben Klang wie »11. September« beim New Yorker. »Gehaltsanpassung« wäre klüger gewesen.
    Warum ist es nicht möglich, dass zwei erwachsene Menschen vernünftig über eine ganz normale Sache sprechen: dass ein Mitarbeiter, wenn er mehr leistet, auch mehr Gehalt bekommen muss? Warum ist diese Verhandlung so peinlich, obwohl sich in der Geschäftswelt doch alles ums Geld dreht? Und warum braucht es so viel Theaterdonner, bis dann am Ende, wenn überhaupt, ein fauler Kompromiss steht?
    Weil die Irrenhäuser ihre Mitarbeiter immer noch als Lohnsklaven sehen. Ihr Motto ist: je billiger, desto besser. Mitarbeiter am Gewinn beteiligen? Sie über Geschäftsergebnisse informieren? Sie gar wie Mitunternehmer behandeln? Solchen Quatsch spart man sich für die Weihnachtsrede, im Alltag regiert der (geile) Geiz.
    Die Irrenhaus-Direktoren agieren als Gehaltsdrücker-Kolonne. Jede Gehaltsforderung, die sie abschmettern, verbuchen sie als Erfolg – selbst wenn die Forderung berechtigt war und die Motivation des Mitarbeiters gleich mitzertrümmert wird. Bei ihrer Sparpolitik übersehen sie, dass die schlechtesten Gehälter auf Dauer nur die

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