Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
Vom Netzwerk:
wieder gemobbt fühlt, landet vor der Tür. Das Irrenhaus tut, als litte er unter Verfolgungswahn, als sei er psychisch labil – und sorgt dafür, dass er sich mehr um seine Gesundheit kümmern kann. Zum Beispiel als Hartz-IV-Empfänger.
    Wo es keine Mobbing-Opfer gibt, kann es keine Mobbing-Täter geben. Daher durfte Dora Berg nicht unter gezielten Angriffen leiden, sondern nur unter ihrer Einbildung. Ein individuelles Problem – keines der Firma!
    Jeder achte Mitarbeiter in Deutschland wird Opfer eines Mobbings. 76 Aber nachweisen können es die wenigsten. Wer einen Fausthieb kassiert, kann zum Beispiel ein blaues Auge vorzeigen. Aber was hat das Mobbing-Opfer in der Hand?
    Wie soll Dora Berg beweisen, dass eine langweilige Aufgabe, die ihr der Chef zuweist, Teil einer Zermürbungstaktik ist? Dass die Kollegen ihr nicht aus Ungeduld, sondern aus Bösartigkeit ins Wort fallen? Dass sie eine wichtige Information nicht übersehen, sondern nicht erhalten hat? Und dass die Späßchen, die Kollegen auf ihre Kosten machen, keine harmlose Neckerei sind, sondern Ausläufer eines Kesseltreibens?
    Mobbing ist Psychoterror, es lässt sich kaum dokumentieren. Die Irrenhäuser sorgen für einen perfiden Rollenwechsel: Die Opfer werden als Denunzianten angeprangert, die ihre Kollegen als böse Mobber verpfeifen, während diese angeblich den ganzen Tag die Friedenspfeife rauchen.
    Der Philosoph Friedrich Nietzsche schrieb: »Ein Beruf ist das Rückgrat des Lebens.« Man kann einen Menschen entwürdigen, indem man ihm das Rückgrat bricht – aber auch, indem man abstreitet, es ihm gebrochen zu haben.
    Nur der Zufall spült manchmal das Beweismaterial an die Oberfläche. So tauchte im Februar 2012 ein Mobbing-Leitfaden auf, den Führungskräfte der Deutschen Post entwickelt hatten. 77 Die Überschrift hätte von der Stasi stammen können: »Umgang mit auffälligen Kräften in der Ist-Zeit«. In dem Papier werden die unerwünschten Mitarbeiter in vier »Typen« eingeteilt: Langsame, »Motzbrüder«, »Sozialfälle« und Alte.
    Das Post-Irrenhaus liefert Mobbing-Ideen, um die Lahmen auf Trab zu bringen. Zum Beispiel soll diesen »Typen« der Urlaub an Samstagen, Montagen und vor Feiertagen verweigert werden. Und die Chefs sind aufgefordert, ihnen die Überstunden abzuschwatzen. Psychoterror!
    Â»Die Vorschläge wurden nie umgesetzt«, behauptete ein Sprecher der Post. Woher weiß er das so genau? Und bei wem hat er nachgefragt? Bei den Mobbern? Warum sollten sie ihre Schandtaten zugeben?
    Richtig ist: Keine Firma kann verhindern, dass ein Mobbing-Funke sprüht, etwa indem ein Kollege den anderen beim Meeting angreift. Aber bei solchen Attacken stellt sich heraus, wie die Kultur in einer Firma ist, menschlich oder irre.
    Nehmen wir Dora Berg. Wie kommt es eigentlich, dass sie von ihren Kollegen angefeindet wird? Ihre Firma hat in den letzten Jahren reihenweise Mitarbeiter von über 55 Jahren vor die Tür gesetzt. Die Geschäftsleitung sendete damit das Signal: Ȁltere sind bei uns unerwünscht!« Und diese Botschaft ist mit feinen Antennen von den jüngeren Mitarbeitern empfangen worden – wie in so vielen Betrieben; von den über 50-Jährigen fühlen sich doppelt so viele gemobbt wie von den unter 30-Jährigen. 78
    Wenn bei einem Team-Meeting ein Kollege Dora Berg ins Wort fällt, hat der Chef drei Möglichkeiten: Zum einen kann er sofort dazwischengehen: »Bitte lassen Sie Frau Berg ausreden! Das ist eine verdiente Mitarbeiterin, ich möchte hören, was sie zu diesem Punkt meint!« Eine solche Reaktion tritt den Mobbing-Funken aus, ehe ein Feuer daraus entstehen kann. Der Chef stellt sich hinter die Angegriffene, nicht hinter die Angreifer. Die Verhältnisse sind klar. Die Gefahr eines Mobbings ist gebannt.
    Die zweite Möglichkeit – typisch für Irrenhaus-Vorgesetzte – besteht darin, dass der Chef den blinden Mann spielt. Er schaut zu, während seine Mitarbeiterin angefeindet wird. Das ist so, als würde ein Fußball-Schiedsrichter nicht pfeifen, während eine Mannschaft die andere pausenlos foult. Wollen wir wetten, dass die foulenden Spieler immer härter einsteigen, eben weil ihr Verhalten nicht sanktioniert wird?
    Der Schiedsrichter kann zwar behaupten: »Ich selbst habe ­niemanden getreten.« Und doch hat sein

Weitere Kostenlose Bücher