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Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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drei in einem Abwasch abgefeiert wurden, musste nur ein Abend­essen organisiert, nur eine Rede gehalten, nur eine Störung der heiligen Arbeitsruhe geduldet werden.
    Das wurmte mich gewaltig; immerhin hatte ich mich 30 Jahre lang für diesen Laden in Stücke gerissen. Aber an wen sollte ich eine Protestnote schreiben? Die Chefs, die mich eingestellt ­hatten, waren alle längst nicht mehr im Haus. Mittlerweile schwang eine Riege junger Manager das Zepter. Sie sahen nur noch die Zahlen. Eine Jubiläumsfeier war nicht einklagbar. Außerdem hatte ich meinen Stolz! Also ließ ich meinen Chef gewähren.
    Kurz vor Weihnachten bat mich die Geschäftsführung zu einem Gespräch. »Wir wissen ja, dass Sie schon viel für unsere Firma geleistet haben«, sagte der Prokurist. »Und wir wissen auch, dass Sie Ihren Ruhestand mehr als verdient hätten. Und da wir unsere Belegschaft ohnehin verjüngen wollen, schlagen wir Ihnen vor …« Verpackt in diesen Zuckerguss, schob er mir eine bittere Pille rüber: Ich sollte einem Auflösungsvertrag zur Jahresmitte zustimmen. Eine Abfindung in Höhe von 15 Monatsgehältern wurde mir angeboten.
    Ich taumelte aus diesem Gespräch wie aus einem Boxring. Damit hatte ich nicht gerechnet! Noch am selben Abend saß ich in der Kanzlei eines Arbeitsrechtlers. Er sagte mir: »Natür lich können Sie sich gegen dieses Vorgehen wehren. Aber meine Erfahrung mit älteren Arbeitnehmern ist: Wenn die Firma sie nicht mehr haben will, kann der Job zur Hölle werden. Das sollten Sie bedenken.«
    Ich nahm das Angebot an. Zur Jahresmitte schied ich aus. Mein Dreißigjähriges war nicht nur aufgeschoben, sondern aufgehoben worden. Das zusätzliche Monatsgehalt ging flöten. Und die Jubiläumsfeier fand ohne mich statt. Wenn überhaupt – vielleicht wurden die beiden anderen Kollegen auch noch rechtzeitig mit einer Abfindung entsorgt.
    Otto Ludwig, Textil-Betriebswirt

Eine Frau stört den Frieden
    Der Krieg endete mit drei Sätzen auf einem A4-Blatt. Der Wirtschafts-Ressortleiter Udo Keim (43) ging mit diesem Papier von Schreibtisch zu Schreibtisch, um es von seinen Redakteuren unterschreiben zu lassen. Diese »Resolution der Mitarbeiter« war ganz offensichtlich vom Verlagsjuristen formuliert worden:
    Aufforderung an die Verlagsleitung
Hiermit bekräftigen wir, die Mitglieder der Wirtschafts­redaktion, dass uns eine weitere Zusammenarbeit mit Frau Lukas nicht möglich ist. Wir empfinden den Arbeitsfrieden durch die Kollegin als empfindlich gestört und fordern die Geschäftsleitung auf, daraus arbeitsrechtliche Konsequenzen zu ziehen. Ansonsten können wir für die Qualität und den reibungslosen Ablauf unserer Arbeit nicht mehr garantieren.
    Diese »Aufforderung« sollte die wasserdichte Kündigung der Redakteurin Julia Lukas (47) anstoßen. Zwei Abmahnungen hatte sie sich schon eingehandelt. Ihr Name war für die Kollegen zum Reizwort geworden. Wie hatte es so weit kommen können?
    Zwei Jahre zuvor hatte die Verlagsleitung mitgeteilt: »Wir wollen die drei Wirtschaftsredaktionen unserer Tageszeitungen zu einer schlagkräftigen Zentralredaktion zusammenlegen.« In Wirklichkeit ging es nicht um die Schlagkraft, sondern ums Sparen: Warum drei Redakteure aus demselben Verlag zu einer Ak­tio­närsversammlung schicken, wenn doch einer für alle drei Blätter über dasselbe Ereignis schreiben konnte?
    Das klang logisch, ohne es zu sein: Jedes der Blätter hatte eine eigene Ausrichtung, von neoliberal bis links. Ein Jubelbericht über hohe Dividenden hätte in das neoliberale, nicht aber in das linke Blatt gepasst. Und dass derselbe Redakteur drei Meinungen vertrat, je nach Zeitung, wäre der Glaubwürdigkeit schlecht bekommen.
    Julia Lukas war geübt darin, für ihre Meinung zu kämpfen. 1989 war sie bei jeder Montagsdemo gegen das SED -Regime dabei gewesen. Erst nach der Wende hatte sie Germanistik studieren können. Ihre Eltern, ein Pfarrer und eine Bildhauerin, hatten in der DDR als Regimegegner gegolten.
    Nun kämpfte sie wieder für die Vielfalt der Meinung, diesmal in ihrem Verlag: »Wem dient diese Zusammenlegung eigentlich?«, fragte sie bei einer Redaktionssitzung. »Dient sie den Lesern? Nein, die wollen keinen Meinungs-Eintopf! Dient sie den Redakteuren? Nein, wir wollen unsere Überzeugungen nicht verkaufen. Sie dient nur

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