Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus
immer weniger gegen die Verlagsspitze â und immer mehr gegen die Kollegin.
Eines Vormittags nahm der Ressortleiter Julia Lukas zur Seite und sagte: »Ich wünsche mir, dass Sie sich mit Ihrem Talent zum kritischen Denken einmal nützlich machen: Schauen Sie sich die heutige Ausgabe doch mal für eine Blattkritik durch. Und reklamieren Sie alles, wirklich alles, was man besser machen könnte.«
Julia Lukas wunderte sich: Warum vertraute der Chef gerade ihr diese verantwortungsvolle Aufgabe an? Doch sie sah darin die Chance, sich fachlich wieder zu etablieren. Sie nahm kein Blatt vor den Mund: Hier bemängelte sie die Themenauswahl, dort den Schreibstil. Hier war ihr eine Ãberschrift zu langweilig, dort eine Bildunterschrift zu redundant. Die Gesichter jener Kollegen, über deren Arbeit sie sprach, verfinsterten sich. Jetzt wollte sie sich wohl auf ihre Kosten profilieren!
Der Ressortleiter gab den Unschuldsengel, als er zum Ende der Sitzung sagte: »Ich hatte gedacht, wir haben ein gutes Blatt gemacht. Aber Sie, Frau Lukas, haben alles schlechtgeredet. Darin sind Sie gut!«
Nach diesem Tag hatte sie keine Kollegen mehr: Niemand gab ihr mehr einen Artikel zum Korrekturlesen. Morgens wurde sie nicht mehr gegrüÃt. Ihre Beiträge erschienen nicht mehr. Und immer wieder kreiste das Gerücht: »Mit der Lukas im Team laufen wir Gefahr, alle vor der Tür zu landen.«
Jedes Mal, wenn Julia Lukas noch etwas gegen die Zusammenlegung sagte, wurden sie von Kollegen angefahren: »Hör endlich auf mit dem Quatsch! Du reiÃt uns alle noch in den Abgrund.«
Die zweite Abmahnung fing sie sich ein, als ihr Chef sie in eine der beiden anderen Wirtschaftsredaktionen »auf Probe« abkommandieren wollte, was Julia Lukas aber verweigerte. Am nächsten Tag war sie krank.
Diese Gelegenheit nutzte ihr Chef, um den Krieg zu beenden. Mit drei Sätzen auf einem A4-Blatt. Alle Insassen des Irrenhaus-Ressorts, bis auf eine Ausnahme, haben unterschrieben.
§ 35 Irrenhaus-Ordnung: Ein Mitarbeiter, der seine ehrliche Meinung vertritt, verdoppelt seine Chancen in der Firma â darÂauf, dass er gemobbt wird.
Lidl â Irrsinn mit quietschenden Reifen
Der Angreifer lauerte den beiden Frauen in der Dunkelheit auf. Der Tatort: ein Parkplatz des Discounters Lidl. Gerade hatten die Filialleiterin Ulrike Schramm-de Robertis und ihre Kollegin Nadja die Ladentür abgeschlossen. Gerade hatte Verkaufsleiter Dettmann sie wieder einmal gedemütigt.
Kurz vor Feierabend war er in die Filiale gestürmt. Er durchschnüffelte die Taschen der beiden Frauen (doch fand kein Diebesgut!). Er steckte seine Nase in die Abrechnung (doch fand keinen Fehler!). Und er inspizierte die Obsttheke (doch stieà nicht mal auf eine Fruchtfliege!). Dass er der Filialleiterin nichts Schlechtes nachsagen konnte, ärgerte ihn, deshalb ging er mit ihr in den Dienstraum und lieà sich den Arbeitsplan der letzten Tage zeigen.
Er bellte: »Warum haben Sie hier 20.17 Uhr aufgeschrieben? Als Sie abgeschlossen haben, war es genau 20.15 Uhr â das habe ich kontrolliert. Sie haben das Unternehmen betrogen, Frau Schramm!«
Die Filialleiterin wies darauf hin, dass ihr Eintrag völlig korrekt sei â genau um 20.17 Uhr habe sie die Firma verlassen.
Doch Dettmann brüllte: »Sie haben die Firma beschissen! Wer weiÃ, wie oft Sie das schon gemacht haben.«
»Ich habe es bestimmt nicht nötig, das Unternehmen um zwei Minuten zu betrügen. Wie oft passiert es, dass ich 20.15 Uhr aufschreibe, aber erst um 20.20 oder 20.30 rauskomme?«
»Tja, das ist dann Ihr Problem.«
»Hätte ich 20.15 Uhr eingetragen und Sie hätten gesagt, ich sei um 20.17 Uhr rausgegangen, hätten Sie mir das auch als Fehler angekreidet.«
»Geben Sie doch endlich zu, dass Sie die Firma schon immer beschissen haben. Und überhaupt, wenn es Ihnen in diesem Unternehmen nicht passt, dann hören Sie doch auf. Dann hat das Elend hier endlich ein Ende.«
Er brüllte so laut, dass die Regale wackelten. Es klopfte an der Tür, Nadja steckte ihren Kopf herein: »Chefin, alles in Ordnung?«
»Ist schon gut, wir sind gleich fertig«, sagte Schramm-de ÂRobertis und bemerkte, wie ihr eine Träne über die Wange kullerte.
Der Verkaufsleiter setzte zu einem Tiefschlag an: »Ich frage mich, wie Sie überhaupt an so eine Stelle gekommen sind. Zum
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