Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
Vom Netzwerk:
dem Verlag, denn bald schon werden Stellen gestrichen!«
    Der Ressortleiter konterte: »Die Zentralredaktion dient uns allen. Der Verlag will Synergien schaffen, um Arbeitsplätze zu erhalten. Auch Ihren, Frau Lukas!«
    Â»Da kann ich Ihnen mit Brecht antworten: Nur die dümmsten Kälber wählen ihren Schlächter selber!«
    Â»Die Entscheidung ist bereits ins Rollen gebracht. Ich rate Ihnen dringend davon ab, sich ihr in den Weg zu stellen. Das könnte schlecht für Sie enden.«
    Der Verlag hatte bereits etliche Lokalredaktionen zentralisiert. Jetzt ging es mit anderen Ressorts weiter. Die Wirtschaftsre­daktion sollte den Auftakt bilden. Den meisten Redakteuren gefiel das nicht. Sie schimpften hinter vorgehaltener Hand. Doch in den Sitzungen waren sie auffallend still. Sie fürchteten um ihre Arbeitsplätze.
    Julia Lukas aber ritt offen gegen die Entscheidung an: Sie aktivierte den Betriebsrat, schrieb kritische Rundmails und sprach bei jeder Sitzung Klartext. Sie bot den Verlagsoberen die Stirn.
    Der Ressortleiter revanchierte sich auf seine Weise: Er lehnte immer öfter Artikelvorschläge von ihr ab. Ein Kommentar zum veränderten Leitzins? »Nein, da schreibt schon die Kollegin dran.« Eine Verbrauchergeschichte über die gestiegenen Strompreise? »Nein, das hatten wir schon letztes Jahr.« Lediglich auf große Hintergrund-Geschichten wurde sie angesetzt, zum Beispiel eine Recherche über nationale Zentralbanken in Europa. Doch als sie ihm den Artikel vorlegte, meinte er: »Das kann ich so nicht drucken, das ist viel zu abseitig.«
    Â»Aber Sie haben mich doch auf das Thema angesetzt!«
    Â»Ja, aber ich habe mir den Artikel spannender vorgestellt. Das ist handwerklich einfach zu schlecht. Sie haben in letzter Zeit schreiberisch nachgelassen. Sie stecken zu viel Energie in den Protest gegen die Zentralredaktion!«
    Immer mehr Artikel wurden abgelehnt. Julia Lukas bekam Selbstzweifel: Waren ihre Artikel wirklich misslungen? Ließ man sie nicht mehr an die großen Themen ran, weil sie nachgelassen hatte? Oder handelte es sich nur um eine plumpe Retourkutsche?
    Bei einer Redaktionskonferenz schimpfte der Ressortleiter: »Frau Lukas, ich stelle fest, dass Sie kaum mehr bei uns im Blatt präsent sind. Ich habe das Gefühl, da machen einige Kollegen Ihre Arbeit mit.«
    Ein Kollege, der als treuer Vasall des Ressortleiters galt, nahm die Vorlage auf: »Man könnte gerade meinen, du denkst nicht mehr an deine Arbeit, nur noch an den Protest gegen die Zentralredaktion. Dafür werden wir aber nicht bezahlt!«
    Die Redaktionskollegen sahen betreten zu Boden; sie spürten, dass jeder, der sich als ihr Freund zu erkennen gab, zugleich als Feind des Ressortleiters gelten würde.
    Wenig später wollte Julia Lukas kurzfristig einen Tag freinehmen. Sie ging ins Büro ihres Ressortleiters, der sagte: »Kein Problem. Ich lasse gleich Ihren Urlaubsantrag schreiben.«
    Doch am nächsten Tag tobte er vor der versammelten Mannschaft: »Das gibt es doch nicht! Frau Lukas bleibt einfach der Arbeit fern. Ohne Krankschreibung, ohne Entschuldigung. Und wir bleiben auf dem Arbeitsberg sitzen!«
    Die Kollegen sahen sich fragend an: Hatte ihre Kollegin im Kampf gegen die Verlagsspitze denn jedes Augenmaß verloren? Einfach der Arbeit fernzubleiben, das ging wirklich nicht! Allmählich kippte die Stimmung gegen sie. Am nächsten Tag bekam Julia Lukas eine Abmahnung auf den Tisch geknallt. Ihr Verweis auf die Absprache wurde als »Ausrede« zurückgewiesen.
    Lügen, Andeutungen und Halbwahrheiten sind typische Kampfmittel der Mobbing-Kriegsführung, wie auch die franzö­sische Therapeutin Marie-France Hirigoyen in ihrem ausge­zeichneten Buch »Die Masken der Niedertracht« beschreibt; dort zitiert sie den Chinesen Sunzi, der in seinem Werk »Die Kriegskunst« schon 500 vor Christus schrieb: »Jede Kriegsführung gründet auf Täuschung (…); wenn wir unsere Streitkräfte einsetzen, müssen wir inaktiv scheinen.« 83
    Was hatte der Ressortleiter im Fall von Julia Lukas getan? Scheinbar nichts! In besorgtem Ton raunte er den anderen Mitarbeitern nun zu: »Wenn die Lukas so weitermacht, dann entlassen die am Ende unsere ganze Redaktion. Auch die zwei anderen Zeitungen könnten eine Zentralredaktion bilden!« Damit war die Lunte der Existenzangst gezündet. Die Wut der Kollegen richtete sich

Weitere Kostenlose Bücher