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Ich arbeite in einem Irrenhaus

Ich arbeite in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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sucht?
    Und ist es bei einem Mitarbeiter mit langen Verweilzeiten nicht möglich, dass er von seiner Firma mit attraktiven Gegenangeboten immer wieder vom Wechsel abgehalten wurde – eben weil er dort als flexibler und wertvoller Mitarbeiter glänzt? Und ist diese Loyalität nicht genau das, was sich jede Firma von eigenen Mitarbeitern erträumt?
    Im Bewerbungsgespräch setzt der Personaler einen psychologischen Schraubenschlüssel ein, um hinter die Fassade des Bewerbers zu schauen: seine ausgefeilten Fragen.
    Zum Beispiel will er den Bewerber mit projektiven Fragen austricksen: »Was würden mir Ihre Freunde über Sie erzählen?« oder »Wie denken eigentlich Ihre Kollegen über Ihren Chef?« Als würde der Bewerber nicht wissen, dass er sich in einem Bewerbungsgespräch befindet! Als würde er nun freimütig berichten, dass seine Freunde ihn für seine Trinkfestigkeit loben und seine Kollegen am liebsten Dartpfeile zwischen die Augen des Chefs pfeffern – und sich dazu in seinem eigenen Partykeller treffen.
    Es ist ein lächerliches Spiel: Einstudierte Fragen werden mit einstudierten Antworten gekontert, bis sich der Personaler am Ende sicher ist: »Das wäre ein toller Insasse für unsere Fachabteilung XY !«
    Doch nun wird dieser Farce gekrönt. Das letzte Wort, ob der Weg in die Anstalt frei wird, hat nicht der Personalchef. Er ist lediglich der Kellner und serviert seine Vorauswahl dem Fachchef. Dieser, ein Personal-Amateur, kann im Zweitgespräch zulangen oder ablehnen. Das ist so, als würde die Einweisung in die Psychiatrie nicht von einem Arzt, sondern vom Fahrer des Ambulanzwagens vorgenommen.
    Viele Fachchefs schlagen den Rat der Personaler in den Wind. So manches komplizierte Einstellungsverfahren endet auf höchst unkomplizierte Weise. Zum Beispiel habe ich schon erlebt, dass ein Fachchef alle vorgeschlagenen Einweisungs-Kandidaten ablehnt und Nachschub aus der Nachbarabteilung geholt hat. Oder er stellt einen ehemaligen Praktikanten ein, von dem nichts anderes in Erinnerung ist, als dass er die Firma nicht in die Luft gesprengt hat.
    Die Einweisung ist gelungen. Die Zelle schließt sich. Und alles, was jetzt hinter den Fassaden passiert, wird von den dicken Mauern des Irrenhauses verschluckt.
    Betr.: Als mich an meinem ersten Arbeitstag keiner erwartete
    Nach zwei Vorstellungsgesprächen stand fest: Der Fachchef des Solartechnik-Unternehmens wollte mich haben. Nur meine lange Kündigungsfrist von einem halben Jahr sah er als Problem. Ich sollte schon zum nächsten Quartalsbeginn anfangen: »Jeder Tag, den Sie früher kommen, ist ein gewonnener Tag.«
    Also gingen wir so vor: Ich unterschrieb einen Arbeitsvertrag, der erst in einem halben Jahr einsetzte – zu meiner Absicherung. Danach habe ich in meiner alten Firma gekündigt und über einen früheren Abgang verhandelt. Das waren zähe Gespräche. Am Ende habe ich einen Teil meiner Prämie geopfert, um schon zum nächsten Quartal gehen zu können. Mein neuer Chef nahm diese Nachricht mit Freude auf.
    Mein erster Arbeitstag begann mit einem Schrecken: Mein neuer Chef war nicht im Haus. Und von den anderen Mitarbeitern wusste keiner, dass heute ein neuer Mitarbeiter anfangen würde. Ich hatte kein Büro, keinen Schreibtisch, keinen Computer. Ich stand da wie ein Tourist, der sich zufällig in die Firma verirrt hatte.
    Ein Kollege drückte mir ein paar Akten zum Einlesen in die Hand. Damit habe ich mich an den Besuchertisch auf dem Flur gesetzt, gegenüber der Kaffeeküche, wo ich von den vorübergehenden Mitarbeitern wie ein Zootier bestaunt wurde. Niemand stellte mich vor.
    Am nächsten Tag war der Chef wieder da. Er hatte – »sorry« – einfach vergessen, dass ich schon ein Vierteljahr früher komme. Ein Schreibtisch war schnell organisiert. Doch es dauerte geschlagene vier Wochen, bis ich meinen Computer und meine kompletten Netzwerkzugänge hatte. Die Firma ließ sich alle Zeit der Welt. Warum hatte ich eigentlich meine Prämie für einen Frühstart geopfert?
    Der Gipfel: Am Monatsende kam kein Gehalt. Ich wartete zwei Wochen, ehe ich nachhakte (als Neuer will man ja nicht als gierig gelten!). Ergebnis: Der Personalabteilung lag nur mein Vertrag mit dem ursprünglichen Eintrittsdatum vor. Er musste geändert und vom Geschäftsführer abgezeichnet werden. Bis mich das Geld erreichte, war der nächste Monat angebrochen. Und mein Girokonto in den Miesen.
    Klaus Hanser, Maschinenbauingenieur
    §10 Irrenhaus-Ordnung: Positionen sind

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