Ich arbeite in einem Irrenhaus
Gesicht feuern wird – wohl aber eine Sekunde später, wenn der Lehrer sich umgedreht hat!
Die Kandidaten agieren taktisch: Wer sonst ein Rechthaber ist, der andere Meinungen wegwischt, gibt sich alle Mühe, andere Bewerber ins Gespräch einzubinden (»Was meinst denn du dazu?«), Kompromisse anzusteuern (»Wie könnten wir uns einigen?«) und den eigenen Redefluss spätestens nach 30 Sekunden zu zügeln. Und natürlich werden die anderen Teilnehmer mit Namen angesprochen, denn auf diese Weise lassen sich weitere Punkte sammeln.
Ebenso verbiegen die meisten Diskutanten ihre Meinung, bis sie als Schlüssel zur Firmentür passt. Wer die Finanzkrise als gerechte Strafe für eine geldgierige und skrupellose Industrie sieht, die ihre riskanten Geschäfte auf dem Rücken der Allgemeinheit austrägt, wird sich diesen Standpunkt beim Assessment Center einer Bank hübsch verkneifen. Stattdessen legt er ein gutes Wörtchen für die Banker ein, die ja in ihrer überwiegenden Mehrheit – siehe den Direktor der örtlichen Volksbank! – anständige Leute sind, deren einziges »Termingeschäft« das pünktliche Auf- und Abschließen ihrer Filiale ist.
Nur die wirklich schüchternen Bewerber, die fachlich und charakterlich oft die besten sind, bleiben in dieser Quasselbude auf der Strecke. Es gelingt ihnen nicht, sich auf Knopfdruck vom stillen Wasser in einen sprudelnden Wortbach zu verwandeln. Sie verfügen über große Qualitäten (auf die eine professionelle Personalauswahl achten müsste), aber nur über ein geringes Talent, diese Qualitäten zu verkaufen (was bei der Personalauswahl für die meisten Berufe nur eine untergeordnete Rolle spielen sollte).
Jedes Assessment Center ist eine Einladung zum Karneval, zum Verkleiden der eigenen Schwächen. Die einzige Qualifikation, die sich hier oft nachweisen lässt, ist ein Talent zur Schauspielerei. Doch die Firmen tun so, als hätten sie bei dieser Art der Personalauswahl dieselbe Trefferquote wie ein Mathematikprofessor beim Durchrechnen des kleinen Einmaleins.
Die Rechnung der echten Experten sieht anders aus. Zum Beispiel sagt Professor Heinz Schuler von der Universität in Stuttgart-Hohenheim, Deutschlands Nummer eins für Personalpsychologie: Einfache Einstellungsinterviews sind oft zuverlässiger als Assessment Center. 13
Auch die » AC -Studie 2008«, exklusiv von der Zeitschrift »Harvard Businessmanager« vorgestellt, watscht die Assessment Center ab: Zwar schicken 71 Prozent der DAX -Unternehmen mindestens einmal im Jahr Bewerber und Mitarbeiter durch ein AC . Doch trotz dieser Routine pfeift die Professionalität aus dem letzten Loch: »Anwendungsfehler (sind) an der Tagesordnung«, sagte Studienleiter Christof Obermann. »Ich schaue mir oft AC an, und da gibt es viele, die den Namen nicht verdienen.« 14
An allen Ecken und Enden hapert es: Die Übungen sind weltfremd, sie haben mit den späteren Aufgaben nichts gemeinsam. Die AC werden dilettantisch vorbereitet und unpräzise durchgeführt. Und die Maßstäbe sind oft so ausgelegt, dass ein Unternehmen nur das eigene Personal reproduziert, statt sich frisches Blut zu holen.
Eine Klientin von mir, Personalerin eines Medienkonzerns, hat die Not zur Tugend gemacht: »Ich achte im Assessment Center auf das, was die meisten meiner Kollegen gar nicht interessiert: Was passiert zwischen den Übungen? Wie gehen die Bewerber vor dem Startschuss miteinander um, wenn es zum Beispiel darum geht: In welcher Reihenfolge treten die Kandidaten zu den Einzelübungen an? Diese Situation scheint den Bewerbern unverfänglich – da kann ich tatsächlich etwas über ihre Persönlichkeit erfahren. Später tragen sie eine Maske, das ist uninteressant. Wir veranstalten diesen AC -Zirkus nur, weil die Geschäftsleitung das für modern hält.«
Hier kommt wieder eine Lieblingsattitüde der Irrenhäuser zum Vorschein: Sie wollen ihrem irrationalen Handeln einen rationalen Anstrich geben. Auch wenn diese Personalauswahl nicht halb so wissenschaftlich, dafür doppelt so dilettantisch ist, wie die Irrenhaus-Direktoren es verkünden.
§12 Irrenhaus-Ordnung: Wer bei der Personalauswahl schwere Fehler begeht, braucht dafür gute Gründe. Einer dieser Gründe heißt: Assessement Center.
3.
Die heimliche
Irrenhaus-Ordnung
Ich kenne sie doch auch, all die kritischen Fragen von Aktionären und Arbeitnehmern …, aber man muss ja nicht gleich verraten, wo man die Antworten findet.
D er Kunde? Ist nicht König. Das Organigramm? Ist
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