Ich arbeite in einem Irrenhaus
treibt er sich neue Arbeitsplätze auf. Immer in renommierten Firmen. Dabei ist seine Bewerbungsmappe eigentlich schwer vermittelbar. Die Arbeitszeugnisse klingen unterkühlt. Die Zahl seiner Wechsel ist zu hoch. Und seine Verweilzeiten in den Firmen nehmen ab, was von den Personalern eigentlich als Warnsignal gewertet wird.
Aber mein Klient hat einen Vorzug, den niemand übersehen kann: Sein Name wird geschmückt von einem Adelstitel. Dieser Umstand überstrahlt die Defizite – ein klassischer Halo-Effekt, ein Wahrnehmungsfehler.
Ist die typische Handbewegung des deutschen Personalentscheiders der Fehlgriff? Beherrschen diejenigen, die einstellen sollen, ihr eigenes Handwerk nicht? Und schleicht sich der Irrsinn durch dieses Einfallstor in die Firmen?
Der renommierte Unternehmensberater Prof. Jörg Knoblauch spricht von einem »Recruiting-Roulette«. In seinem Buch »Die Personalfalle« 9 greift er die willkürliche Auswahl von Personal an: »Das Personalmanagement weiß in der Regel überhaupt nicht, wie es den Recruiting-Prozess gestalten soll. Zu diesem Thema steht vielleicht noch einige Fachliteratur im Regal, die aber auch nicht mehr zu bieten hat als ein paar Standardfragen für das Vorstellungsgespräch. Und selbst wenn, hat keiner einen Blick reingeworfen, geschweige denn die Anregungen aufgegriffen und praktiziert.«
Knoblauch führt sechs Glaubenssätze auf, von denen sich die deutschen Unternehmen in die Irre führen ließen, zum Beispiel: »Hauptsache ist doch, wir können miteinander.« Diese Haltung führe dazu, dass ein Bewerber nicht etwa durch seine Qualifikation glänze, sondern durch zufällige Gemeinsamkeiten mit dem Personaler: »Wow! Sie kommen aus Heidelberg? Da wohnen meine Schwiegereltern … Was für eine nette Stadt.«
»Ob man damit aber am Ende den richtigen Mitarbeiter findet«, resümiert Knoblauch bissig, »darf bezweifelt werden. Außer man hat ein Unternehmen, das Stadtführungen in Heidelberg anbietet.«
Auch die anderen Glaubenssätze, die Jörg Knoblauch auseinandernimmt, öffnen den Blick in einen Abgrund aus Naivität. Die Unternehmen verwechselten das, was ein Bewerber von sich zeigt, mit seiner wahren Persönlichkeit; sie schlössen aus dem Foto auf die Eignung des Bewerbers, als stünde sie ihm auf die Stirn geschrieben; sie verließen sich lieber auf ihr Bauchgefühl als auf qualifizierte Maßstäbe; und sie scheuten nicht einmal vor küchenpsychologischen Fragen wie der zurück, welches Tier der Bewerber gerne wäre.
»Wenn sich der Bewerber mit einem Wolf vergleicht«, so Knoblauch spöttisch, »dann ist er offensichtlich stark in Sachen Teamwork, denn der Wolf ist ja bekanntlich ein Rudeltier.«
Dieses Bild des Personalpfuschs lässt sich mit Fakten untermauern. Eine Umfrage des internationalen Beratungsunternehmens DDI enthüllte: 96 Prozent der deutschen Personalentscheider beherrschen nicht mal das kleine Einmaleins ihres Jobs – sie konnten nicht zwischen verbotenen und erlaubten Fragen fürs Vorstellungsgespräch unterscheiden. 10 Zum Beispiel hätten sie bedenkenlos nach dem Alter und dem Familienstand eines Kandidaten gefragt. Das aber ist nicht gestattet.
Andere Wissenschaftler kritisieren, in Deutschland würde zu oft aus dem Bauch heraus eingestellt – und zu selten mit jener Methode, die weltweit als Königsweg gilt: dem Leistungstest. Von zwölf untersuchten Ländern schnitt Deutschland hierbei am schlechtesten ab. Zusammen mit der Türkei! In Finnland setzen 74 Prozent der Firmen auf Einstellungstests – in Deutschland nur lächerliche sechs Prozent. 11
§9 Irrenhaus-Ordnung: Die moderne Personalauswahl hat längst erkannt, dass Entscheidungen nicht aus dem Bauch heraus erfolgen dürfen. Inzwischen werden modernere Methoden eingesetzt. Zum Beispiel: Kaffeesatz-Leserei.
Das große Einweisungs-Theater
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Firma einen neuen Insassen aufnimmt? Es reicht schon, dass eine Zelle leer steht, sprich ein Arbeitsplatz frei ist. Mal ist der Vorgänger ausgebrochen. Mal hat ihn die Bundesrentenanstalt in Gewahrsam genommen. Mal ist die Zelle komplett neu und deshalb noch unbesetzt.
Während die echte Psychiatrie nie auf die Idee käme, einen Menschen nur deshalb einzuweisen, weil zufällig ein Bett freigeworden ist, verfolgen die Firmen-Irrenhäuser genau diesen Ansatz: Man sucht nicht Stellen für Menschen – man sucht Menschen für Stellen. Das ist ein großer Unterschied.
Wer das
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