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Ich arbeite in einem Irrenhaus

Ich arbeite in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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schützenswert: Sie werden niemals auf Mitarbeiter zugeschnitten. Mitarbeiter sind nicht schützenswert: Sie werden auf Positionen zugeschnitten (das Wort »verstümmeln« ist in diesem Zusammenhang verboten).
    Hochprozentige Gewohnheiten
    Woran scheitert die Personalpolitik der Irrenhäuser? Ein blitzgescheites Buch des Stanford-Professors Robert Sutton deckt Ursachen auf. Der Titel ist Programm: »Stellen Sie Leute ein, die Sie eigentlich nicht brauchen«. 12 Sutton zeigt auf, dass die meisten Firmen aus einem banalen Grund die falschen Bewerber einstellen – weil sie gar nicht wissen, wen sie wirklich benötigen.
    Seine Vorschläge sind provokant. Zum Beispiel fordert er, Firmen sollten gezielt Mitarbeiter einstellen, die eben nicht perfekt zur Firma passen – und die sich nach ihrer Einstellung auch nicht perfekt anpassen. Doch in der Praxis? Läuft es umgekehrt. Die Unternehmen sehen einen neuen Mitarbeiter so lange als unzulänglich an, bis er ihren Windkanal der Anpassung durchlaufen, die langjährigen Mitarbeiter als Vorbild akzeptiert und das Firmenevangelium auswendig gelernt hat. Er soll die Denk-, Arbeits- und Sprechweise seines neuen Arbeitgebers eins zu eins übernehmen.
    Offenbar gehen die Arbeitgeber davon aus, der Stein der Weisen gehöre zu ihrem Firmeninventar. Dagegen werden abweichende Gedanken und Verhaltensweisen, die ein neuer Mitarbeiter einschleppen könnte, nur als Hirngespinste gesehen, die es in der Probezeit auszumerzen gilt – wenn nicht schon beim Einstellen eine aalglatte Kopie der langjährigen Mitarbeiter den Zuschlag bekam.
    Schnelle Anpassung wird von den Firmen durch schnelle Anerkennung belohnt. Wer schon nach vier Monaten nicht mehr von den etablierten Mitarbeitern der Firma zu unterscheiden ist, gilt als »auffassungsbegabt«, »integrationsfähig« und wird nicht selten durch eine verkürzte Probezeit geadelt. Dagegen droht jedem, der nicht sofort zum Chamäleon wird, die Verurteilung als »Quertreiber«, »Eigenbrötler« oder »Störenfried«.
    Welch ein kleinkarierter Irrsinn! Wie will eine Firma neue Wege einschlagen, wenn jeder Neue gezwungen ist, in die alten Fußstapfen zu treten? Wie will eine Firma ihrer Betriebsblindheit vorbeugen, wenn sie neuen Mitarbeitern sogleich die eigene Augenklappe aufzwingt?
    Kluge Firmen sollten die Chance nutzen, mit den neuen Mitarbeitern auch neue Ideen, neue Umgangsformen, neue Arbeitsweisen in die Firma zu holen. Sie sollten einen Neuen nicht bestrafen, sondern dafür belohnen, wenn er abweichende Meinungen vertritt, abweichende Arbeitswege einschlägt oder abweichende Umgangsformen zeigt. Eine solche Kultur führt zu Lebendigkeit, zu einem frischen Wind.
    Aber wie kommt Robert Sutton auf seinen Vorschlag, die Firmen sollten Bewerber an Bord holen, die nicht benötigt werden? Fragen Sie mal einen eingefleischten Alkoholiker, ob er einen Therapeuten brauche. Natürlich wird er diese Idee weit von sich weisen. Hat er keinen Bedarf? Aber doch! Nur ahnt er schon: Dieser neue Einfluss wird ihn zu unbequemen Veränderungen zwingen. Dass diese Veränderungen ihm nützen, dass sie ihm Kopf und Kragen retten können, ist ihm in diesem Moment nicht bewusst.
    Die Flasche, an der die Irrenhäuser hängen, sind ihre hochprozentigen Gewohnheiten. In einer Kultur, die von reinem Zahlendenken geprägt ist, wie in vielen technischen Konzernen, bekommen Geisteswissenschaftler als Bewerber einen Korb. Dabei könnten gerade sie, die über eine hohe Sprach- und Sozialkompetenz verfügen, den Denk- und Handlungsrahmen des Unternehmens entscheidend erweitern.
    Dagegen ist mir schon manche Firma in der kreativen Branche begegnet, die sich von einer Idee zur nächsten schwang, ohne dabei zu überlegen: Rechnet es sich überhaupt? Eine solche Firma könnte ihre eigene Existenz sichern, indem sie sich einen rationalen Zahlenmenschen an Bord holt, etwa einen Controller. Natürlich prallen dann zwei Welten aufeinander. Aber gerade aus konträren Positionen kann ein fruchtbares neues Bewusstsein entstehen.
    Unbegreiflich: Dieselben Firmen, die ihren Maschinenpark mit Akribie pflegen, die Riesensummen ins Marketing pumpen, die sich bei ihren kaufmännischen Berechnungen nicht auf den Zufall, sondern auf mathematische Formeln verlassen – diese Firmen huschen und puschen, orakeln und »debakeln« ausgerechnet bei ihrer Personalpolitik. Als wären nicht die Menschen für den Erfolg eines Unternehmens entscheidend, sondern die Maschinen und der

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