Ich arbeite in einem Irrenhaus
ist.
Kritische Anregungen der Mitarbeiter sind nicht gefragt. So kann ich mich an einen Klienten erinnern, der seinen Chef Ende der 1990er Jahre mehrfach auf die Wachstumsmärkte in Osteuropa und den immer schärferen Konkurrenzkampf in Deutschland hinwies. Doch mit dem Argument, das regionale Geschäft sei einträglich genug, wehrte der Irrenhaus-Direktor diese Vorschläge ab. Er, der Sonnenkönig, hatte es nicht nötig.
Erst Jahre später, als die Geschäftszahlen ins Tal rauschten, kam er auf die Idee meines Klienten zurück. Doch da war der Kreditrahmen schon so eng, dass dieser Sprung ins Ausland nicht mehr zu schaffen war. Zumal sich etliche Wettbewerber bereits in Osteuropa etabliert und dort eine goldene Nase verdient hatten. Zwei Jahre später war die Traditionsfirma pleite.
Dabei ist es eigentlich eine Stärke des Mittelstands, dass er schnell auf veränderte Marktlagen, schnell auf die Wünsche der Kunden reagieren kann. Bis ein Konzern eine Entscheidung gefällt und seinen Kurs gewechselt hat, können mittlere Firmen den Markt schon erobert und ein weiterführendes Angebot in der Pipeline haben.
Der Grad der Flexibilität hängt nicht zuletzt davon ab, welche Generation am Ruder ist. Meist sind die Gründer deutlich beweglicher als ihre Erben (siehe Seite 165). Wer als Unternehmerkind aufgewachsen ist, gibt sich leicht dem Irrtum hin, die Milliönchen seien nicht den Kunden, sondern Papis Konto zu verdanken. Dann geht die Kundenorientierung über Bord – und die Firma vor die Hunde.
Eine weitere Gefahr für mittelständische Unternehmer: Sie verwechseln das, was sich in ihrer Sichtweite abspielt, mit dem nationalen oder gar dem internationalen Markt. Zum Beispiel schafft es ein bekannter Schraubenhersteller im Südwesten, die Werkstätten und Baumärkte in seiner Umgebung mit den eigenen Produkten bis zum Anschlag zu füllen. Der Spaziergang durch die Räume der potentiellen Kunden nährt den Glauben, man durchdringe den Gesamtmarkt so locker wie ein Schlagbohrer eine Pappwand. Doch in Wirklichkeit setzen die Vertreter in Nord- und Ostdeutschland viel zu wenig ab – eine Tatsache, die man sich in dieser Firma schönredet. Statt darin eine Chance für die weitere Entwicklung zu sehen.
Die Nähe zu den lokalen Kunden bringt nicht nur die Chance mit sich, Probleme frühzeitig zu erkennen, sondern auch das Risiko, diese zu verkennen . Denn oft geben die Fanclubs vor Ort kein repräsentatives Urteil ab – als würde man Menschen im Bremer Umland nach der Bedeutung des Fußballvereins »Werder« fragen und aus der Tatsache, dass jeder Zweite ein Fan ist, eine Hochrechnung fürs ganze Land ableiten (40 Millionen Fans!).
Dieser verengte Blick führt zu Selbstgefälligkeit und zu falschen Entscheidungen. Zum Beispiel werden Produkte, die nur am lokalen Markt der Renner sind, in die ganze Republik gepumpt – wo sie allerdings nicht angenommen werden.
Regionale Irrenhaus-Direktoren täten gut daran, ihre Mitarbeiter nicht zum Dienen, sondern zum Denken zu erziehen. Auch sollten sie möglichst oft aus dem regionalen Käfig ausbrechen, um ihre Firma mit scharfem Blick von außen zu begutachten. So mancher Sonnenkönig würde erkennen: Sein Reich hat seine Grenzen. Sein Angebot hat seine Fehler. Und nur ein Mittelständler, der ständig an sich arbeitet, gleitet nicht ins Mittelmaß ab.
Allein im Krisenjahr 2009 sind durch Pleiten im Mittelstand rund 700000 Arbeitsplätze verlorengegangen, eine gigantische Zahl, die nicht nur auf Finanzierungsprobleme, sondern auch auf verfehlte Unternehmenspolitik zurückgeht. 39 Überholte Geschäftsmodelle, mangelnder Horizont, monarchische Strukturen, zu viel Eigenlob und zu wenig Selbstkritik – das sind die Krankheiten, die mittelständische Unternehmen dahinraffen.
Die Beerdigung findet dann in aller Stille statt. Ausnahmsweise ohne Rede.
Betr.: Warum mein Chef die Fußballwette gewinnen sollte
Der Inhaber unserer mittelständischen Firma war ein stadtbekannter Rechthaber. Niemand wagte es, ihm zu widersprechen. Umso weniger, je mehr er sich irrte. Trotzdem war ich baff, als es während der Fußball-WM 2006 zu diesem Vorfall kam. Wir hatten in der Firma eine Tippgemeinschaft gebildet. Der Chef hielt sich natürlich für den besten Fußballkenner – weil er ja alles besser wusste als die anderen!
Doch seine Tipps waren Schüsse in den Ofen. Schon nach einigen Tagen war er auf den vorletzten Rang abgerutscht. Seine Laune glich einer Stinkbombe, er war nur
Weitere Kostenlose Bücher