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Ich arbeite in einem Irrenhaus

Ich arbeite in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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noch am Motzen. Diese schlechte Stimmung ging allen auf den Geist.
    Eines Morgens schlich seine Sekretärin in geheimer Mission durch die Büros und flehte die Kollegen an: »Könnt ihr dem Tipperfolg des Chefs nicht auf die Sprünge helfen?« Wir sollten gezielt danebentippen, damit der Chef wieder zu besserer Laune und auch in dieser Rangliste auf seinen angestammten Platz kam: an die Spitze.
    Etliche Kollegen spielten mit: Um den Hausfrieden wiederherzustellen und den grollenden Chefgott zu besänftigen, tippten sie konsequent gegen die Favoriten. Mein Tippen ging in eine andere Richtung – an die Stirn.
    Klaus Metzger, Administrator
    §32 Irrenhaus-Ordnung: Böse Zungen behaupten, ein mittelständischer Unternehmer komme gleich nach dem lieben Gott. Das ist natürlich falsch: Er kommt davor!
    Onkel Dagobert oder: Spare
bis zur Bahre
    »Onkel Dagobert« – so nannten die Mitarbeiter eines verarbeitenden Betriebes heimlich dessen Inhaber. Die Art, wie er mit Geld umging, erinnerte sie fatal an Walt Disneys gleichnamige Comic-Ente, die ihren randvollen Goldspeicher mit einer unschlagbaren Waffe verteidigt: ihrem Geiz.
    Der Irrenhaus-Direktor Onkel Dagobert hatte mit seiner Firma eine Nische besetzt. Die Konkurrenz hielt sich in Grenzen, jährlich floss ein Millionengewinn in seinen Geldspeicher. Doch so groß der Chef darin war, mit beiden Händen Geld einzunehmen, so kleinlich war er beim Ausgeben.
    Unter den Mitarbeitern der Firma, von denen ich einen leitenden Angestellten beriet, kursierten Dutzende Geschichten. Zum Beispiel gab es mehrere Zeugen für diesen Vorfall: Dagobert schneit vormittags ins Großraumbüro. Ein Mitarbeiter ist gerade dabei, die elektronische Jalousie zu verstellen. Der Chef fragt den Mitarbeiter höflich: »Wie oft am Tag verstellen Sie die Jalousie?«
    »Je nach Sonnenstand«, antwortet der Mitarbeiter arglos.
    »Und wie oft ist das?«
    »Ehrlich gesagt, das habe ich noch nie gezählt. Warum interessiert es Sie?«
    Jetzt schlägt der Chef einen strengeren Ton an: »Haben Sie schon mal überlegt, was das kostet? Nicht nur die Jalousie geht nach oben, sondern auch die Stromrechnung. Und die erhöhten Strompreise machen mir ernste Sorgen.«
    Der Mitarbeiter atmet tief durch: »Aber die Jalousie ist doch dazu da, dass man sie verstellt!«
    »Nein, sie ist kein Spielzeug, sondern ein Sonnenschutz. Meine Jalousie verstelle ich so gut wie nie.«
    Alles, was Geld kostete, war für Dagobert ein rotes Tuch. Wer als Mitarbeiter eine Gehaltserhöhung wollte, als Abteilungsleiter eine Etat-Aufstockung oder als Kunde einen Sonderrabatt, hätte genauso gut den örtlichen Sparkassendirektor um eine Spende für den Verein verarmter Bankräuber bitten können.
    Zum Beispiel wies der Entwicklungsleiter immer wieder auf das veraltete Produktsortiment hin. Doch sein Etat war seit einem Jahrzehnt so gering bemessen, dass er lediglich die bewährten Produkte fortentwickeln, aber keine Innovation antreiben konnte. Dabei hätte ein neues Produkt die Position am Markt sichern und den Gewinn auf mittlere Sicht erhöhen können. Doch der Chef konterte den Etatwunsch immer mit derselben Antwort: »Ich lebe von meinen Einnahmen – nicht von den Ausgaben!«
    Eines konnten die Mitarbeiter ihrem Irrenhaus-Direktor aber nicht vorwerfen: dass er die Enthaltsamkeit nur anderen predigte. Er lebte sie selbst mit einer Konsequenz, neben der jeder Mönch wie ein Lebemann gewirkt hätte. Er trug Anzüge, die so alt waren, dass man sie sonst nur in alten Edgar-Wallace-Filmen sah. Eine Frau und Kinder hatte er sich gespart. Dafür war er mit seinem Geschäft verheiratet.
    Seine Maßstäbe, was Preise und Gehälter anging, waren auf demselben Stand wie seine Kleidung geblieben: dem vor 30 Jahren. Ständig heulte er seiner Sekretärin die Ohren voll, wie enorm die Preise doch explodiert seien, wenn er mal wieder Büromaterial oder eine Dienstreise-Abrechnung genehmigen musste. Einmal sagte er: »Dieser Flug hat uns 2500 gekostet! Wenn wir das jeden Tag ausgeben, sind das im Monat 75000!«
    »Nicht 2500, sondern 1250«, korrigierte die Sekretärin ihn sanft.
    »Sie sind also auch drauf reingefallen!«
    »Reingefallen? Worauf?«
    »Auf den Euro! Ich rechne immer noch in Mark. Dann merken Sie erst, wie teuer alles geworden ist!«
    Diese Anekdoten mögen amüsant klingen. Und doch ist dieser Chef nicht nur für seine Mitarbeiter, sondern auch für seine Firma eine Zumutung. Noch laufen die Geschäfte, weil das Unternehmen in

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