Ich arbeite in einem Irrenhaus
Bootstour, Mittagessen und »einer abendlichen Überraschung«, wie es in der Einladung hieß.
Wir rätselten natürlich alle, was am Abend geschehen würde. Ein Theaterbesuch? Ein Fünf-Gänge-Menü? Oder eine große Fete?
Was tatsächlich geschah, ging über unsere Phantasie hinaus: Der Chef schleppte uns – 74 Köpfe, seine komplette Belegschaft – um Punkt 19 Uhr in eine Podiumsdiskussion. Er war Teilnehmer dieser Runde, es ging um ein kontroverses Thema. Unser Ausflugsvergnügen bestand darin, dass wir seinen weisen Äußerungen lauschen und sie durch bebenden Applaus untermauern durften.
Die anderen Diskussionsteilnehmer waren verblüfft, wie gut die Standpunkte unseres Chefs bei der »Allgemeinheit« ankamen. Offenbar war der ganze Ausflug eine getarnte Fanclub-Reise gewesen. Noch heute stupsen wir uns an, wenn wir in der Zeitung von einer anstehenden Podiumsdiskussion lesen, und wispern: »Na, wie wär’s mit einem Betriebsausflug?«
Christa Paulsen, Vertriebsassistentin
§34 Irrenhaus-Ordnung: Ideen der eigenen Mitarbeiter sind Schnapsideen, weil sie Ideen der eigenen Mitarbeiter sind. Ideen der Wettbewerber sind genial, weil sie Ideen der Wettbewerber sind.
Wenn die Erben es verderben …
Der Mann, der zu mir in die Beratung kam, war in Ehren ergraut. Mit 75 Jahren führte er immer noch ein mittelständisches Unternehmen, das zu den erfolgreichsten seiner Branche gehörte. Doch nun stand er vor einem speziellen Problem: »Mein Sohn soll die Firma übernehmen. Aber er will sie nicht!«
Ich führte zwei Gespräche – das erste mit dem Vater, das zweite mit dem Sohn. Der Unterschied war auffallend. Der Vater, ein Kaufmann alten Schlages, mit Maßanzug und Einstecktuch, bekam den Glanz eines frisch Verliebten in die Augen, sobald er von seiner Firma redete. Er sprach nicht – er schwärmte. Für ihn war die Firma sein Baby, sein Liebling, sein Leben.
Umso weniger verstand er, warum sein Sohn lieber in einer anderen Firma arbeitete – »auch noch schlecht bezahlt!« –, statt dieses Schmuckstück von einer Firma zu übernehmen. Der »Junge«, immerhin schon 35 Jahre alt, habe »nur Flausen im Kopf«. Zum Beispiel mache er »schrecklich laute Musik in einer Band«.
Danach führte ich das Gespräch mit dem Sohn. Er tauchte in Lederjacke und Jeans bei mir auf. Ich fragte ihn, wie er zum Übergabewunsch seines Vaters stand. Seine Antwort war eindeutig: »Wenn ich das Wort ›Übergabe‹ höre, könnte ich mich übergeben. Warum sollte ich ein Paar Schuhe anziehen, das mir nicht passt?«
»Liegt es daran, dass Sie diese Schuhe noch für zu groß halten?«, wollte ich wissen.
»Nein, es sind einfach die falschen Schuhe. Ich käme ja auch nicht auf die Idee, dass mein Vater meine Band übernimmt, nur weil ich gern Musik mache. Er ist unmusikalisch.«
»Woher wissen Sie so genau, dass Sie das Geschäft nicht führen wollen – müssten Sie es nicht erst einmal ausprobieren?«
Sein Gesicht verzerrte sich, als hätte ich ihm gegen das Schienbein getreten: »Oh Gott, ich kenne den Laden aus dem Effeff. Schon als Kleinkind habe ich meinen Vater über kein anderes Thema reden hören. Firma, Firma, Firma. Ich kam mir vor wie ein Adoptivsohn. Die Firma war sein wahres Kind.«
»Kennen Sie die Firma denn von innen?«
»Bis zum Abwinken! Als mein erstes Schulpraktikum in der achten Klasse anstand, war klar: Ich musste in die Firma. Als Sommerferien waren, war klar: Ich musste in die Firma. Als ich studiert habe und von meinen Eltern finanziert wurde, war in den Semesterferien klar: Ich musste in die Firma.«
»Und wenn Sie das abgelehnt hätten?«
»Dann wäre mein Vater tödlich beleidigt gewesen. Oder er hätte mein Studium nicht mehr finanziert. Ich hatte keine Wahl. Aber jetzt verdiene ich mein eigenes Geld. Zum Leben reicht es. Mit dieser Firma will ich nichts zu tun haben.«
Diese Geschichte ist typisch und untypisch zugleich. Typisch, weil die Firmeninhaber mit aller Gewalt ihre eigenen Kinder an der Unternehmensspitze sehen wollen, ohne Rücksicht, ob diese das Geschäft führen wollen – oder führen können . Und untypisch, weil der Sohn die Übernahme so klar ablehnte.
Ein Klient von mir, Vertriebsleiter, erlebte einen Generationswechsel aus nächster Nähe: »Das ist ein Trauerspiel! Die Familie hat 50 Jahre gebraucht, um den Betrieb auf die Beine zu stellen – und der Sohn braucht fünf Monate, um die Firma in Grund und Boden zu wirtschaften.« Diese Formulierung war
Weitere Kostenlose Bücher