Ich arbeite in einem Irrenhaus
nicht übertrieben: Der kleine Maschinenbauer hatte reihenweise Aufträge verloren. Treue Mitarbeiter waren zur Konkurrenz gewechselt. Und auch der Vertriebsleiter wollte das sinkende Schiff verlassen.
Der Sohn war unter den Mitarbeitern berüchtigt: Schon als Praktikant hatte er in der Firma den Besserwisser gegeben. Danach verschwand er für zehn Jahre von der Bildfläche und studierte an einer Schweizer Privatuniversität BWL (es ging das Gerücht, er habe sein Abi verhauen und sei nur dank Papis Scheck für das Studium zugelassen worden).
Schließlich kam er als Stellvertreter des Vaters zurück und trat nicht nur im Maßanzug, sondern auch mit dem Habitus eines Wirtschaftsweisen auf. Alles, was die Mitarbeiter zu wissen glaubten, war kalter Kaffee. Und alles, was er wusste, war der neuste Stand der Wissenschaft. Mit wirren Ideen irrlichterte er durchs Haus.
Zunächst tat der Patriarch das, was Patriarchen am besten können: Er klammerte sich an der Macht fest. Erst als es nicht mehr anders ging, als er öfter bei seinem Hausarzt als im Büro war, startete der Sohn seinen Triumphzug auf den Chefsessel.
Nun ließ er keinen Stein auf dem anderen. Er rückte Stühle, wo er nur konnte. Er degradierte. Und beförderte. Er organisierte. Und organisierte um. Er entschied. Und er rief Entscheidungen zurück. Das Traditionsunternehmen, bis dahin ein Muster an Beständigkeit, taumelte wie ein Besoffener durch den Markt.
Die ganze Branche bekam dieses Chaos mit. Bald wechselten erste Mitarbeiter zur Konkurrenz – und mit ihnen Kunden. Der Juniorchef weinte ihnen keine Träne nach. Hochnäsig meinte er im Jour Fixe: »Mit den Kunden von gestern sind eben keine Zukunftsgeschäfte zu machen.« Das Problem war nur: Er hatte keine Zukunftskunden gefunden. Die Firma stand vor dem Aus.
Diese Geschichte ist kein Einzelfall. So manches gutgeführte Haus verkommt mit dem Generationswechsel zum Irrenhaus. Kein Wunder: Wie man keine Bundesligamannschaft zum Erfolg führt, indem man die Söhne der ehemaligen Erfolgsspieler auflaufen lässt, und keine Weltliteratur erzeugt, indem man die Kinder der großen Schriftsteller Bücher schreiben lässt, so ist auch der unternehmerische Erfolg der Erbengeneration fraglich.
Eine Studie der Goethe-Universität in Frankfurt fand heraus, worauf die meisten Patriarchen bei der Übergabe ihrer Firma achten – nicht auf die Qualifikation, sondern auf das Geschlecht ihres Kindes. Die Söhne haben den Vortritt. Nur wenn im wahrsten Sinne »Not am Mann« herrscht, kommen die Töchter ans Ruder. Obwohl die Frauen oft besser geeignet wären. 44
Soziologie-Professor Rolf Haubl rät, bei der Übergabe müsse weniger auf Steuer- und Erbschaftsrecht und mehr auf die Familiendynamik von Unternehmerfamilien geachtet werden. Die Lieblingsfrage der Irrenhaus-Direktoren vor der Übergabe sollte nicht sein: »Wie kann ich Steuern sparen?«, sondern: »Wer kommt ans Steuer?«
Sonst wird der Übergang zum Untergang, denn zahlreiche Studien weisen nach: Mit jedem Generationswechsel steigt die Chance, dass eine Firma absäuft. 45 Meist gelingt es der ersten Generation noch, die Firma über Wasser zu halten. Aber die zweite, dritte oder spätestens vierte Erbengeneration versenkt den Laden mitsamt den Arbeitsplätzen.
Der letzte Geschäftsführer des Irrenhauses ist dann ausnahmsweise kein Familienangehöriger mehr – sondern der Insolvenzverwalter.
Betr.: Wie ich gegen meinen Willen befördert wurde
Eines Tages bat mich mein Abteilungsleiter, ihn zu unserer Inhaberin zu begleiten. Ich hatte keine Ahnung, worum es gehen sollte. Umso verblüffter war ich, als die beiden mir eröffneten, mein Chef wechsele auf eine neue Position. Und ich – »Gratulation!« – sei ab nächstem Monat sein Nachfolger.
Ich wäre fast vom Stuhl gefallen! Mit Anfang 50 wollte ich alles Mögliche, nur keine Chefposition mehr. »Moment«, sagte ich, »meine Fachposition ist mir heilig. Da will ich bleiben. Ich muss die Beförderung leider ablehnen.«
Die Inhaberin – gewohnt, dass alle auf ihr Kommando hörten – schüttelte energisch den Kopf: »Der Beschluss steht fest, da gibt es keinen Entscheidungsspielraum.«
»Aber Sie können mich doch nicht gegen meinen Willen …«
Sie konnte doch! Obwohl ich protestierte und in meiner Verzweiflung die Namen von Kollegen ins Spiel brachte. Am nächsten Abend saß ich bei einem Fachanwalt für Arbeitsrecht und musste mich belehren lassen: Der Firma war laut Vertrag
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