Ich arbeite in einem Irrenhaus
wo die Mitarbeiter ihre Köpfe hängen lassen wie Schnittblumen ohne Wasser – dort hat der Irrsinn oft herzlich wenig mit den Beschäftigten, aber viel mit den Firmen an sich zu tun.
Der Psychologie-Professor Robert Hare von der University of British Columbia kam nach Untersuchungen zu dem Standpunkt: Etliche Großunternehmen müssen unter klinischen Gesichtspunkten als waschechte »Psychopathen« gelten. Sie weisen die klassischen Eigenschaften einer antisozialen Persönlichkeitsstörung auf. Sie lügen für ihren Vorteil, boxen ihre Interessen auf Teufel komm raus durch, sind selbstsüchtig, kaltblütig, hinterlistig – eine Bande von Moralverbrechern, die der kanadische Dokumentarfilm »The Corporation« eindrucksvoll entlarvt. 59
Je mehr Mitarbeiter Ihrer Firma beim großen Irrenhaustest auf Seite 214 ein schlechtes Zeugnis ausstellen, desto eher haben Sie es mit einem absoluten Irrenhaus zu tun (was sich aufgrund eines einzelnen Testergebnisses, einer subjektiven Einordnung, nicht nachweisen ließe).
In diesem zweiten Buchteil erfahren Sie, wie Sie den Irrsinn Ihrer Firma einordnen und auf welchen Wegen Sie ihm entfliehen können. Ein Frühwarnsystem hilft Ihnen, beim Wechseln garantiert keiner Psychopathen-Firma mehr vors Messer zu laufen (ab Seite 260).
Aufgabe: Wahnsinn färbt ab –
ein irres Experiment
Halten Sie Ihre Firma für ein Irrenhaus? Und wollen Sie wissen, ob dieser Irrsinn schon auf Sie abgefärbt hat? Dann nehmen Sie bitte einen Zettel zur Hand und schreiben Sie alle negativen Eigenschaften auf, die Sie an Ihrem Arbeitgeber beobachten. Auf wie viele Eigenschaften kommen Sie?
Ein Klient von mir, leitender Informatiker, war in die Beratung gekommen, um die Ursachen für sein diffuses Unbehagen in der Firma zu erforschen. Ich bat ihn, die Negativliste zu schreiben. Dort stand schließlich: »Unehrlichkeit, Geiz, Profitgier, Rücksichtslosigkeit, Egoismus, Arroganz, Kleinkariertheit, Starrhalsigkeit, Desinteresse, Grobheit, Ausbeutung.«
Tippen Sie Ihre Liste ab und legen Sie diese zwei bis drei vertrauten Menschen vor. Sagen Sie nun (ohne Bezug zu Ihrer Firma): »Ich mache gerade einen kleinen Selbsttest. Kreuzt du bitte einmal an, welche dieser Eigenschaften du schon an mir wahrgenommen hast? Ein Kreuz heißt: ganz gelegentlich. Zwei Kreuze heißen: mehrfach. Drei Kreuze heißen: häufig. Bitte sei so ehrlich und kritisch wie möglich.«
Der Informatiker war vom Ergebnis schockiert: Seine Frau machte bei »Geiz« und »Unehrlichkeit« je zwei Kreuze. Er hakte nach: »In welchen Situationen hast du diese Eigenschaften an mir beobachtet?«, »Seit wann genau?« und »Kannst du eine Tendenz beobachten, ob das zu- oder abnimmt?«
Als Beispiel für Geiz nannte seine Frau: »Seit einiger Zeit gibst du im Lokal kein Trinkgeld mehr, wenn der Rechnungsbetrag rund ist. Das hast du früher nie gemacht.« Als Beispiel für Unehrlichkeit: »Ich finde es merkwürdig, dass du dir Bücher von einem Online-Versand schicken lässt, sie sofort liest und dann gegen Erstattung des Kaufpreises als ›Fehlbestellung‹ reklamierst.«
Wann hatten diese Verhaltensweisen begonnen? Es kam heraus: etwa vor einem halben Jahr, kurz nach dem Ende seiner Probezeit bei einem mittelständischen Computerunternehmen. Dort wurden Geiz und Unehrlichkeit wie Tugenden gelebt. Zum Beispiel hatte er gelernt, die Rechnungen von Zulieferern grundsätzlich zu kürzen, auch ohne jeden Grund. »Anfangs habe ich das gehasst«, erzählte er, »aber nach einiger Zeit gehörte es einfach dazu. Ich habe mir eingeredet: Die Zulieferer kennen das Spielchen schon, die schlagen bei ihrer Rechnung bestimmt was drauf.«
Die Unehrlichkeit machte sich beim Abrechnen des Stundenaufwands bemerkbar: »Mein Chef bläute mir ein: ›Stunden immer runden!‹ Das klingt harmlos, meint aber: Rechne Arbeitsleistung ab, die nicht erbracht wurde.«
Mein Klient hatte die irren Spielregeln, die er in seiner Firma lebte, unbewusst in sein Privatleben übernommen. Der Test machte ihm klar: Nicht nur er ging jeden Tag in ein Irrenhaus – das Irrenhaus ging auch in ihn. Er war ein Teil des Irrsinns geworden. Diese Erkenntnis war umso bitterer für ihn, als Aufrichtigkeit und Großzügigkeit immer wichtige Werte für ihn gewesen waren. Dass er diese Werte jeden Tag mit Füßen trat, mittlerweile sogar in seinem Privatleben, beschwor eine Unzufriedenheit mit seinem Job herauf, die er sich zunächst nicht hatte erklären können.
Statt sich weiter über
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