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Ich arbeite in einem Irrenhaus

Ich arbeite in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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das Irrenhaus zu ärgern, zog er eine Konsequenz. Er bewarb sich bei einem Unternehmen, dessen offene Kultur ihm ein Kommilitone empfohlen hatte, der dort arbeitete. Ein Dreivierteljahr später verließ er seine »irre« Firma.
    Die verpassten Wechseljahre
    Muss man den Arbeitgeber wechseln, wenn man es in seinem Job nicht mehr aushält? Ach was, meint ein populärer Ratgeber – es reiche, die eigene Haltung zu verändern. Haben nicht alle Firmen ihre Macken? Ist das Einzige, was man bei jedem Wechsel mitnimmt, nicht die eigene Persönlichkeit? Und liegt es daher nicht nahe, an der eigenen Reife so lange zu feilen, bis man mit seiner aktuellen Firma eine produktive Beziehung pflegt – statt von einem Firmenunglück ins nächste zu stolpern?
    Diesen Ansatz vertreten Volker Kitz und Manuel Tusch, Autoren des »Frustjobkillerbuches«. Die Kernaussage der beiden jungen Psychologen: »Alle Jobs sind gleich. Es ist egal, für wen Sie arbeiten.« 60
    Ist das vollkommen falsch? Nein, einen Zipfel der Wahrheit haben die beiden erwischt. Wer eine Schwierigkeit hat, die vor allem in ihm liegt – zum Beispiel ein Autoritätsproblem –, kann zwar den Arbeitsplatz wechseln, nicht aber sein Verhaltensmuster; er wird in neuen Firmen eine Wiederholung des alten Films erleben. Weil er dort auf neue Vorgesetzte trifft – und damit auf das alte Problem.
    Und doch basiert das »Frustjobkillerbuch« auf zwei grundlegenden Irrtümern. Erstens erweckt es den Eindruck, die Mitarbeiter der deutschen Firmen seien wie Reisende, die ihre aktuellen Firmen nur als Zwischenbahnhöfe nutzten, immer auf dem Sprung zu einem neuen Arbeitgeber. 85 Prozent aller Arbeitnehmer würden – »offen oder heimlich« – nach einem neuen Arbeitgeber suchen.
    Aber wie sieht diese »heimliche« Suche aus? Die meisten Arbeitnehmer schauen in die Stellenanzeigen wie in einen Reisekatalog. Sie malen sich traumhafte Erlebnisse an den fernen Stränden der neuen Arbeitgeber aus – aber sie buchen den Flug nicht, verschicken keine Bewerbung, bleiben an ihrer alten Position wie an einer Ölpest kleben. Auf einen Wechselfreudigen kommen mindestens drei Arbeitnehmer, die in ihrer Firma hilflos festsitzen.
    Die größten Katastrophen, in die Arbeitnehmer getrieben werden, Verzweiflung und Unglück, psychische Krankheiten und Selbstmord, haben ihre Wurzel eben nicht in einer zu großen Wechselfreude; sie resultieren aus dem Gegenteil: Menschen gehen zugrunde, weil sie zu lange in irren Firmen verharren, zu wenig Mut zum Wechsel beweisen, zu selten auf ihre innere Stimme hören, zu viel Leidensdruck entstehen lassen. Sie bleiben so lange in Irrenhäusern, bis sie des Wahnsinns fette Beute oder zumindest vom Frust gebeutelt werden. Opfer der verpassten Wechseljahre!
    Wenn man einem solchen Arbeitnehmer zuruft, »Das Problem bist du selbst, nicht dein Arbeitgeber«, dann verstärkt das nur die Macht der Verharrungskräfte. Alles beim Alten zu belassen, nichts zu tun, im Irrenhaus zu bleiben, ist immer einfacher, als den Fuß auf Neuland zu setzen. Denn so katastrophal der alte Zustand auch sein mag, er hat einen Vorteil: Man kennt ihn!
    Der zweite Haken des »Frustjobkillerbuches«: Die Autoren haben ihren Ansatz offenbar einem anderen Bereich entlehnt, nämlich der Paarberaterin Eva-Maria Zurhorst und ihrem Bestseller »Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest« – als wäre das Verhältnis zu einem Arbeitgeber mit einer Liebesbeziehung vergleichbar.
    In einigen Punkten stimmt diese Parallele sogar (siehe Seite 18), aber in einem ganz entscheidenden Punkt eben nicht. In einer Paarbeziehung begegnen sich zwei Menschen auf Augenhöhe. Die Möglichkeiten, durch das eigene Verhalten den anderen zu beeinflussen, sind enorm. Jedes Wort, jedes kleine Tun und Lassen kann zu einer neuen Paardynamik führen.
    Aber wie, bitte schön, soll eine solche Veränderung gelingen im Verhältnis zwischen Mitarbeiter und Irrenhaus? Kann der Mitarbeiter, indem er seiner Firma Blumen schenkt, der Beziehung neue Impulse verleihen? Kann er, indem er Ehrlichkeit lebt, seine ganze Firma auf den Pfad der Tugend bringen? Kann er als einzelne Stimme im großen Firmenkonzert die Tonlage verändern?
    Niemals! Eine Arbeitsbeziehung basiert nicht auf Gleichheit, sondern auf einem kleinen Unterschied: Der Arbeitnehmer bekommt sein Geld dafür, dass er sich den Spielregeln der Firma anpasst. Er soll tun, was dort üblich, und lassen, was dort unüblich ist. Er soll sich den Chefs, den

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