Ich arbeite in einem Irrenhaus
Kollegen, der Firmenkultur angleichen. Wer die bestehenden Gewohnheiten übernimmt, wird in die Familie aufgenommen. Wer sich wie ein störrischer Esel auflehnt, bekommt eine Kündigung als Laufpass (siehe Seite 61).
Zwar stimmt es, dass der Irrenhaus-Insasse sein Verhältnis zu einzelnen Menschen verbessern kann, etwa zum Chef oder den Kollegen. Aber auch diese Funktionsträger sind nur Rädchen in einem größeren Getriebe. Den Takt gibt die (Un-)Kultur der Firma vor. Ein einzelner Insasse kann niemals den ganzen Laden umkrempeln.
In Liebesbeziehungen kann es gelingen, erst sich selbst zu verändern, dadurch den anderen und dadurch die Beziehung. In Arbeitsehen gelingt es nicht.
Was bleibt dem Mitarbeiter eines Irrenhauses übrig, wenn er nach seiner Einweisung bzw. Einstellung in einem Irrenhaus nicht gleich seine Entlassung riskieren will? Nur dreierlei:
1. Der Insasse kann sich anpassen . Keine gute Idee, denn wer sich dem Irrsinn anpasst, wird selber irre. Das ist flapsig formuliert, aber ernst gemeint: Wer sich verbiegt, bis er im Spiegel einen Fremden sieht, deformiert seine Persönlichkeit und kann in eine Identitätskrise stürzen.
2. Der Insasse kann Anpassung vortäuschen , sich innerlich von der Firma distanzieren. Diese Taktik wenden viele Mitarbeiter an. Sie kommen zur Arbeit, aber lassen ihr Herz zu Hause, gehen in die innere Emigration. Aber wie soll ein Leben gelingen, wenn fast die Hälfte der wach erlebten Zeit, das Arbeitsleben, ein Martyrium ist? Wie will ein Mensch im Privatleben echt und fröhlich sein, wenn er im Job unecht und bedrückt ist? Wer garantiert, dass der Wahnsinn nicht ein steter Tropfen ist, der seinen Kopf schließlich doch aushöhlt? Hat der Philosoph Theodor W. Adorno nicht einst postuliert, dass es kein richtiges Leben im falschen gebe?
Wer sich auf diese Weise in einem Irrenhaus durchmogeln will, dem kann es wie in einem Löwenkäfig gehen: Am Ende wird er doch gefressen. Zum Beispiel von einer völlig irren Entlassungswelle.
3. Der Insasse kann einsehen: Hier bin ich falsch! Er kann begreifen, dass er seine persönlichen Werte bei diesem Arbeitgeber nicht verwirklichen kann. Die Hoffnung, dass die Firma sich ihm anpasst, wäre naiv. Genauso gut könnte ein Pinguin in der Wüste hoffen, es möge die nächste Eiszeit kommen. Realistischer wäre die Einsicht:
Es gibt nur einen Weg, der aus diesem Irrsinn führt – er muss sich einen Arbeitgeber suchen, der besser zu ihm passt, einen Arbeitgeber, bei dem er seine persönlichen Werte mit Leben füllen kann. Nur wenn diese Wertegrundlage stimmt, hebt sich die Schranke vor dem Glück.
Leider sitzen viele Arbeitnehmer in ihren Firmen wie Pinguine in der Wüste fest. Und der Klimawandel lässt auf sich warten.
Die Werte-Fährte
Zwölf Millionen Dollar sollte sie kosten, die Statue eines griechischen Jünglings, die dem Getty Museum in Los Angeles angeboten wurde. Der Preis ging in Ordnung, war das Kunstwerk doch 2500 Jahre alt. Zu dieser Überzeugung war eine Gruppe von Wissenschaftlern gelangt. Monatelang hatte sie die Statue begutachtet – mit den modernsten Geräten.
In letzter Sekunde schauten sich noch ein paar Kunstkenner die Figur an. Das einzige Untersuchungsinstrument, das sie mitbrachten, war ihr Instinkt. Die Tendenz fiel einhellig aus: Thomas Hoving, ehemaliger Leiter des Metropolitan Museum oft Art in New York, dachte beim ersten Anblick des Jünglings, dieser sei frisch angefertigt worden. Ein renommierter Chefarchäologe aus Griechenland verspürte sofort ein Frösteln und fühlte sich von dem Kunstwerk wie durch eine unsichtbare Wand getrennt.
Am Ende wurde aufgedeckt: Die Statue war eine raffinierte Fälschung. Alle wissenschaftlichen Tests hatten versagt. Recht behalten hatten der erste Blick, das Bauchgefühl, die Intuition. 61
Ein Zufall? Nein, der Instinkt ist dem Verstand in vielen Situationen voraus. Jeder von uns weiß mehr, als er zu wissen glaubt. Das Problem ist nur: Die meisten Menschen haben verlernt, auf ihren Instinkt zu hören – vor allem am Arbeitsplatz, wo scheinbar nur das zählt, was sich auch zählen lässt.
Wenn ich in der Karriereberatung das Gefühl habe, dass ein Mitarbeiter in einem Irrenhaus arbeitet, dann stelle ich immer dieselbe Frage: »Welche Situationen fallen Ihnen ein, in denen Sie bei der Arbeit ein schlechtes Gefühl im Bauch hatten? Das kann ein deutliches Gefühl gewesen sein, zum Beispiel Wut oder Traurigkeit, aber auch ein leises Gefühl, der Hauch
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