Ich beschütze dich
wusste. Jetzt konnte er nicht still sitzen bleiben, und sie fragte sich, ob hinter seiner Sorge noch mehr steckte.
»Hast du es auf seinem Handy probiert?«
»Natürlich.«
»Und hast du heute die Jungs gesehen?«
»Nein. Als ich gegangen bin, haben sie noch geschlafen, und als ich zurückgekommen bin, waren sie weg.«
»Dann ist Jez bestimmt bei ihnen. Beruhig dich doch, Mick. Hier, trink etwas Wein, und ich mache uns was zu essen. Die Jungs sind bestimmt bald zurück, dann geben wir Maria Bescheid.«
Ben und Miranda zusammen in Madagaskar. Daran wollte sie nicht mal denken. Aber sie konnte nicht damit aufhören.
»Wo sind die Handynummern von den Jungs?«
»Auf meinem Handy. In meiner Tasche.«
Helen beförderte ihre Tasche mit einem Tritt zu Mick. Er sah sie an, bevor er ihr Handy heraussuchte und einige Tasten drückte.
»Typisch. Haben beide ihr verdammtes Handy ausgestellt«, sagte er.
Erst nach Mitternacht hörten sie, wie sich die Haustür öffnete und gegen die Wand im Flur knallte. Mick sprang auf, als Barney hereinkam, leicht schwankend, mit hängenden Schultern und die Haare wie immer vor dem Gesicht. Ein Schwall kalter Nachtluft wehte mit ihm herein.
»Mach die Tür zu«, sagte Helen. »Es ist eiskalt. Ist Jez bei dir?«
»Hm?«
»Barney! Hör zu!«, befahl Mick. »Jez ist nicht nach Paris gefahren. Und Alicia hat nichts von ihm gehört. Hast du eine Ahnung, wo er steckt?«
»Vielleicht weiß Theo was.«
Theo tauchte in der Tür auf, mit glänzenden Augen und geröteten Wangen.
»Theo! Wo ist Jez?«
»Jez?«
Helen sah, wie Mick verärgert die Zähne zusammenbiss. Sie wusste, was er dachte: Er hätte seinen Sohn gerne an der ungewaschenen Kapuze seines müffelnden Sweatshirts gepackt und ihn durchgeschüttelt, bis er sich anständig benahm. Seit Jez’ Ankunft war Micks Enttäuschung über seine eigenen Söhne mit Händen greifbar. Theo schaltete mit der Fernbedienung den Fernseher ein, aber Mick sagte, er solle ihn wieder ausmachen. Helen bat Barney, nach oben zu laufen und die Heizung auf Dauerbetrieb zu stellen. Den Gedanken ans Essen verwarf sie und schenkte sich stattdessen Wein nach.
»Ich dachte, er wäre nach Hause gefahren«, sagte Theo. »Er hat gesagt, er wollte am Samstag zurück.«
»Nach Paris?«
»Ja. Wohin denn sonst?«
»Da ist er nicht. War er gestern Abend bei dem Gig?«
Distanziert betrachtete Helen diese neue, angespannte Seite ihres Mannes. Sein Gesicht war verkniffen und rot. Auch seine Augenbrauen trieben seltsame Dinge, sie waren buschiger als vorher und irgendwie stärker in Bewegung. Sie überlegte, wann sie ihn eigentlich zum letzten Mal richtig angesehen hatte.
»Wir haben gedacht, er wäre bei Alicia«, sagte Barney.
»Alicia hat ihn nicht gesehen«, erzählte Helen. »Er wollte sich gestern Nachmittag mit ihr im Fußgängertunnel treffen und ist nicht aufgetaucht.«
Theo und Barney sahen sich an.
»Was hat dieser Blick zu bedeuten?«, fragte Helen.
»Nichts«, meinte Theo. »Es ist nur komisch, dass Alicia sich unbedingt da mit ihm treffen will, als wäre es romantisch. Er traut sich nicht, Nein zu sagen. Nicht mal, wenn er lieber was mit uns machen würde.«
»Voll der Knecht«, grummelte Barney, und Theo kicherte.
»Knecht?«
»Er macht, was sie ihm sagt«, erklärte Barney.
»Spielt den Sklaven für die kleine Alicia«, fügte Theo hinzu. »Ich rufe ihn an.«
Sie sind ja vielleicht träge, nichtsnutzige Faulenzer, dachte Helen tröstlich benebelt vom Alkohol, aber nichts kann einen so gut aufbauen wie ein Sohn. Zwei Söhne.
»Zu seinem Vater kann er nicht gefahren sein, oder?«, fragte Mick. »Könnte er in Marseille sein? Hat er euch irgendwas davon erzählt? Dass er eben nicht nach Paris gefahren ist, meine ich?«
»Nein, von Marseille hat er nichts gesagt«, antwortete Barney.
»Ich komme nicht durch«, meldete Theo. »Hat wohl ausgemacht.«
»Und jetzt?«, fragte Mick. »Was, um Himmels willen, machen wir jetzt?«
Das Gespräch mit Maria wurde lang und schwierig. Helen bemühte sich, ruhig zu bleiben.
»Soweit wir wissen, sitzt er im Zug und fährt nach Hause. Wahrscheinlich ist er auf dem Weg nach St. Pancras in die Stadt gegangen. Vielleicht wollte er noch was einkaufen. Es gibt sicher eine Erklärung.«
»Seine Sachen hat er also mitgenommen?«, fragte Maria.
Helen war noch gar nicht auf den Gedanken gekommen, im Gästezimmer nach Jez’ Sachen zu sehen. Mit einer Geste wollte sie Barney losschicken, der gegenüber im
Weitere Kostenlose Bücher