Ich beschütze dich
verschließe sie wieder und stecke den Schlüssel tief in meine Hosentasche. Nachdem ich mich auf Tränen oder Schmollen oder sogar Wut eingestellt habe, bin ich verblüfft über seine Reaktion.
»Ich habe nachgedacht«, sagt er sofort, als er mich sieht. »Darüber, wie Sie sich um mich kümmern. Dass Sie die Tür abschließen, und dass Sie Helens Freundin sind und so. Ich glaube, Sie planen zusammen was für meinen Geburtstag am Mittwoch.«
Mit einem leisen, triumphierenden Lächeln sieht er mich an, er erwartet sichtlich, dass ich nichts verrate. Offenbar glaubt er, ich hätte Helen geschworen, ihm nichts zu sagen. Also deute ich nur ein wissendes Lächeln an. Er zuckt grinsend mit den Schultern. »Ich verrate nichts«, sagt er.
Ich sehe ihn an. Ich will dich nicht belügen, denke ich. Aber als du mit dem letzten Licht eines Februarnachmittags zu mir gekommen bist, als sei es so vorherbestimmt, habe ich tief in meiner Seele eine seltsame Ruhe verspürt, die ich so lange verloren hatte, dass ich mich kaum an sie erinnern konnte. Ich muss dich hierbehalten, hier im Musikzimmer, in Sicherheit, und ich kann dich noch nicht gehen lassen.
Ich halte inne. Blicke auf, erwarte eine Reaktion von Jez und merke, dass ich nichts davon laut gesagt habe, obwohl die Gedanken so deutlich waren, als hätte ich sie ausgesprochen.
Das Essen stelle ich auf den Tisch neben seinem Bett. Es ist ein gutes Abendessen, auch wenn der Saft wieder mit den Tabletten meiner Mutter versetzt ist. Deshalb habe ich keine Gewissensbisse, ich weiß, dass sich Jez durch das Medikament besser entspannen und schlafen kann.
»Sehen wir erst mal zu, dass es dir besser geht«, sage ich leise. »Hör mal, ich leihe dir meinen Laptop. Welchen Film würdest du gerne sehen?«
Als er alles hat, was er braucht, und die Tabletten ihn schläfrig gemacht haben, lege ich mich auf mein eigenes Bett. Völlig erschöpft lausche ich auf die Geräusche von draußen.
Ich höre das schroffe Brummen eines Polizeiboots, das auf dem Fluss Richtung Osten fährt, das Dröhnen eines Flugzeugs im Landeanflug auf den City Airport. Auf der Straße schrillt die Alarmanlage eines Autos. Wie ich das sanfte, gutturale Tuten der Nebelhörner vermisse. Früher waren sie in den Winternächten oft zu hören, tief und langgezogen, eines nach dem anderen, Ruf und Antwort, als würden diese mächtigen Schiffe miteinander spielen. Wenn ich diese Geräusche hörte, fühlte ich mich im Haus sicher. Wie in einem Hafen, geschützt vor dem Sturm und dem Toben der Welt dort unten.
Der Gedanke an die Nebelhörner beschwört eine Erinnerung herauf. Als mir diese Szene wieder vor Augen tritt, bin ich nicht sicher, ob sie sich einmal oder öfters so abgespielt hat. Sicher bin ich, was die Empfindungen betrifft. Das Gefühl der Seide um meine Handgelenke und Knöchel, begleitet von den Bassklängen der Nebelhörner auf dem Fluss, die durch das Zimmer und durch die Federn des alten Eisenbetts vibrierten.
Ursprünglich hat meine Mutter das Musikzimmer als Ankleideraum benutzt. Deshalb ist es mit einem eigenen Bad mit Dusche und Bidet ausgestattet (was sehr schick war in den Siebzigern, als es eingebaut wurde). Damals war das Zimmer voller Kleiderständer, Hutschachteln und Schals, und einen Schrank hatte meine Mutter mit ihren Kleidern, Mänteln und Pelzstolen vollgestopft.
An diesem Abend waren meine Eltern ausgegangen. Ich muss vierzehn gewesen sein. Seb war bei mir. Wir standen auf Stühlen und starrten durch die Oberlichter auf die erleuchteten Schiffe, die im Dunkeln schwermütig flussaufwärts zur Tower Bridge fuhren. Das Licht erstarb, ein trüber Nebel war aufgezogen. Gelegentlich dröhnte ein Nebelhorn vom Fluss herüber, langgezogen, dumpf und traurig. Im Holzofen brannte ein Feuer. Irgendwann muss ich Seb geärgert haben. Was ich gesagt habe, weiß ich nicht mehr, aber ich erinnere mich noch an die tausend Nadelstiche, die er mir verpasst hat. Er hat mit beiden Händen meinen Unterarm gepackt und die Haut in verschiedene Richtungen gezerrt, bis mich der köstliche Schmerz aufschreien ließ. Er drehte mir den Arm auf den Rücken, zog mich an sich und schob mir die Zunge in den Mund. Dann drückte er mich auf das Bett, das für die seltenen Besucher in diesem Zimmer da war. Er befahl mir, mich auszuziehen. Ich gehorchte. Am Ende gehorchte ich Seb immer, auch wenn ich mich vorher mit einigem Theater weigerte. Während ich meine Jeans abstreifte und mit den Knöpfen meiner Baumwollbluse
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