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Ich beschütze dich

Ich beschütze dich

Titel: Ich beschütze dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Penny Hancock
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dieses Bild lasse ich Jez allein, der immer noch an das Bett gefesselt ist.
    Nach dem gedämpften Mondlicht in seinem Zimmer erscheint mir die Treppe dunkel. Mit einer Hand auf dem Geländer und leise zitternd schleiche ich hinunter. Im Wohnzimmer bleibe ich stehen und lausche. Das Telefon klingelt immer noch. Ich werde nicht abnehmen. Ich habe Angst, dass ich mich in meinem aufgewühlten Zustand verrate. Das Telefon schaltet zum Anrufbeantworter weiter. Nach dem Piepton erklingt die körperlose Stimme einer erwachsenen Frau. Das Mädchen, das ich zur Welt gebracht habe, klingt wie jemand, den ich kaum kenne.
    »Mum, ich bin’s. Du hast auf meine SMS nicht geantwortet! Geht es dir gut? Ich komme in ein paar Tagen nach Hause. Wir haben eine Woche vorlesungsfrei. Mit Dad habe ich schon geredet, er hat gesagt, dass er auch am Donnerstagabend zurückkommt. Er will über den Umzug reden. Klasse! Endlich. Ach, und ich bringe Harry mit, der ist total fertig. Ich habe ihm ein Wochenende am Fluss versprochen. Ruf doch mal an. Tschüüüss!«
    Nachdem sie aufgelegt hat, bleibe ich noch ein paar Minuten vor dem Telefon stehen, und wieder überläuft mich ein Schauder.
    Im Wohnzimmer ist es immer kalt. Seit wir zurückgekommen sind, konnte ich mich dort noch nicht richtig eingewöhnen. Deshalb habe ich es Kit und ihren Freunden überlassen. Ich habe Kit ermuntert, Leute mitzubringen. Sie sollte wie die anderen Kinder sein, im Gegensatz zu mir früher. Meine Eltern haben mir nicht erlaubt, Freunde mitzubringen oder sie zu Hause zu besuchen. Durch Kit wurde mir klar, wie abgeschottet ich meine Kindheit verbracht habe. Ihre sollte anders sein.
    Also durfte sie den DVD -Player ins Wohnzimmer stellen, dazu einen Breitbildfernseher, Laptop und CD -Player. Wir schleppten Sitzsäcke und Kissen aus ihrem Zimmer herunter, sie durfte ihre Poster aufhängen und sogar den alten Barschrank auffüllen. In dem Laden oben in der Creek Road kauften Kit und ihre Freunde Retroposter und Bierdeckel. Sie hingen ständig im Wohnzimmer ab und feierten Partys und hielten mich gezielt auf Abstand. Mir war das ganz recht. Seit Kit nicht mehr hier wohnt, ist das Zimmer nicht nur zu kalt, sondern auch zu still. Wenn Greg zu Hause ist, sitzt er abends mit der Zeitung auf dem Sofa oder sieht fern, bevor er ins Bett geht, aber er findet auch, dass es selbst mit brennendem Kamin und eingeschalteter Heizung immer kühl bleibt.
    Dieses Haus hat ein Eigenleben. Es atmet und regt sich. Und es hat seine ganz eigenen Geräusche. Das Wuuusch , mit dem die Heizung anspringt, das Ping Ping Ping der Rohre, wenn man sich ein Bad einlässt, das Knirschen der Dachschiefer in windigen Nächten. Nur das Wohnzimmer ist still. Die meiste Zeit verbringe ich in der Küche. Man könnte sagen, dass ich dort wohne, während das Wohnzimmer trotz seines Namens ein toter Raum ist. Nicht dass es hässlich wäre. Ganz im Gegenteil. Besucher sagen immer sofort, es sei sehr schön, mit dem Ausblick auf den Fluss am einen Ende, dem Kamin, den gebohnerten Holzböden und großen Perserteppichen, die hier schon liegen, seit ich denken kann. Die Anrichte gefällt mir nicht, aber die restlichen Möbel sind unaufdringlich und geschmackvoll. Nein, die Ästhetik des Zimmers ist nicht der Grund, dass ich mich hier nicht entspannen kann, es ist etwas anderes, ein Schatten, der weggleitet, sobald ich genau hinsehen will, wahrnehmbar nur aus den Augenwinkeln.
    Ich senke den Blick auf das Telefon und überlege, ob ich Kit jetzt anrufen sollte oder es bis morgen warten kann. Ich entschließe mich für Letzteres. Ich muss erst nachdenken, statt wie früher zu sagen, ja, komm ruhig, bring Harry mit, Schatz. Bring mit, wen du willst.
    Ich öffne die Tür zu meinem Zimmer und lege mich wieder hin. Nach ein paar Minuten überlege ich, nach oben zu gehen und Jez loszubinden, damit er nichts von den Schals erfährt und keine Angst bekommt. Aber jedes Mal, wenn ich mich bewegen will, drückt mich eine Woge der Erschöpfung auf das Bett.
    Als Nächstes bekomme ich mit, dass es schon wieder dämmert, ein ruheloser, grauer Himmel zeichnet sich vor meinen Fenstern ab. Jez hat die ganze Nacht über mit den Händen über dem Kopf dagelegen, an das Bett im Musikzimmer gebunden, genau wie Seb mich gefangen gehalten hatte, und meine Liebe zu ihm wuchs mit jedem Versuch, mich von seinen Fesseln zu befreien.

K APITEL N EUN
    Sonntagmorgen
    Helen
    Helen schälte ihre Zunge vom Gaumen und kniff gegen das helle Licht die

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