Ich beschütze dich
spiegelt den stürmischen Himmel und das schwarze Wasser wider.
Auf dem Markt bin ich ein Fremdkörper. Mir ist klar, dass ich verglichen mit den Frauen, die auf Süßkartoffeln und Mangos drücken oder Stofflängen mit einem Blick abmessen, von solchen Dingen wenig verstehe. In dieser Gegend nähen die Leute. Sie kaufen Garn und Fingerhüte und Gummibänder. Die Resultate sind an anderen Ständen zu sehen, Kopien von aktueller Mode zu einem Bruchteil des Preises. Und sie reden miteinander. Sie sitzen in den Cafés und stehen in Türen und hocken an den Marktständen auf Kisten. Sie kommen aus den umliegenden Wohnungen und füllen blaue Einkaufstaschen mit Chili und Daikon und frischem Fleisch.
Ich steuere direkt auf den Heimwerkerstand zu, an dem Schrauben, Muttern und Nägel in blauen Plastikkörben sortiert sind und eine aufgeschlagene Bibel auf einem Stapel Batterien liegt. Eine Frau beratschlagt gerade mit dem Standbetreiber. »Kleine Köpfe, große Köpfe, woher soll ich das wissen? Das ist nicht mein Ding.« In jeder Hand hält sie ein Tütchen Schrauben. Die beiden lachen, sie scheinen den ganzen Tag Zeit zu haben.
Ich suche eine Rolle Klebeband aus.
»Das macht dann zwei Pfund fünfzig«, sagt der Standbetreiber, und weil er merkt, dass ich mich nicht auskenne, fragt er, wofür ich es brauche.
»Um ein geplatztes Rohr zu reparieren«, murmele ich, und er lacht.
»Sie sollten lieber einen Klempner rufen, aber bei dieser Kälte und den Lecks in ganz London bräuchten Sie schon Glück, um einen zu finden. Sie hätten die Rohre isolieren sollen«, sagt er. »Bisschen spät jetzt. Aber es soll noch mehr schneien. Hier.« Er gibt mir eine Karte. »Ein Klempner, ein Freund von mir. Versuchen Sie’s bei ihm. Mehr als Nein sagen kann er nicht.«
»Danke. Ich nehme das Klebeband trotzdem mit.«
»Das ist Gewebeband, junge Frau«, erklärt er. »Panzerband, Gafferband, das ist alles mehr oder weniger das Gleiche. Damit kann man alles zusammenkleben.«
»Ich nehme zwei Rollen. Kann man immer gebrauchen«, sage ich, als würde ich über Bohnen in der Dose reden.
In der Secondhand-Ecke halten sich die Leute über Wasser, indem sie verkaufen, was sie können. Alte Autositze. Gebrauchte Büstenhalter. Holzlöffel. Abgebrochene Schlüssel. An einem Stand für gebrauchte DVD s finde ich zwei Filme für Jez. Die Nacht des Jägers und Der Fremde im Zug . Ich lege sie in die blaue Einkaufstasche zu dem Gewebeband und mache mich wieder auf den Weg Richtung Creek Road.
Die Geschäfte in der High Street haben sich spezialisiert: Christines Pork, der Egg Shop, der Fish Shop, Lobo Halal Meat, ein Laden, der Ikonen verkauft. Ich sauge die Bratdüfte vom Frühstück ein, die aus den Cafés wehen. Es herrscht ein fröhliches Gedränge, in dem laufend Waren die Hände wechseln. Ich fühle mich ausgeschlossen und beneide die Menschen um ihr Gemeinschaftsgefühl, als ich an den Ein-Pfund-Läden vorbeigehe, an den Friseuren, die für Kinder Cornrows zum Sonderpreis anbieten, dem Lokal für Pasteten und Kartoffelbrei, sogar bei dem Bestatter. Ganz London befindet sich ständig im Umbruch, es wird abgerissen und wieder aufgebaut. Vor meinen Augen verändert sich jeden Tag das Bild des Flusses. Aber die Deptford High Street konnte sich bis jetzt im Kern dem Dröhnen und Klirren der Veränderung widersetzen.
Zurück auf der Creek Road komme ich an Plakatwänden vorbei, die ein neues Lebensgefühl auf dieser Seite des Flusses versprechen. Luxusapartments und Cafés und Grünflächen sollen angeblich die verfallenden Werften, stillgelegten Raffinerien und verwahrlosten, ungenutzten Fußwege ersetzen.
Ich schaue kurz bei Casbah Records vorbei, als ich Greenwich erreiche, und sofort landet meine Hand auf der CD , die ich wollte: The Best of Tim Buckley.
»Pack sie aus.«
Neben seinen Geschenken habe ich Jez Kaffee gebracht, Satsumas von einem Obststand, an denen ich nicht vorbeigehen konnte, und Mandelcroissants von Rhodes.
Dieser Tag muss schön werden. Er soll in Jez’ Gedächtnis in goldenem Licht erstrahlen. Ich setze mich neben ihn.
»Es heißt nicht umsonst süße sechzehn«, sage ich. »Es ist so schnell vorbei. Du, wie du jetzt bist, pfff!«
Beschämt spüre ich, wie mir Tränen in die Augen steigen. Ich mustere ihn von oben bis unten, vom Scheitel bis zur Sohle. Sein Gesichtsausdruck ist erwartungsvoll, beinahe als hätte er auf mich gewartet, unschuldig, aber einen Hauch anmaßend.
Er reißt das Papier von den
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