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Ich beschütze dich

Ich beschütze dich

Titel: Ich beschütze dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Penny Hancock
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Zehenlutscherin«, sagte er, und ich streckte ihm die Zunge heraus, weil ich nicht wusste, wie ich mich sonst verteidigen sollte.
    Um mich zu sammeln, atme ich tief ein. Ich stecke zwei Laken, eine Bettdecke und zwei Kissen in einen Müllsack. Das reicht nicht, um Jez warm zu halten. Einen Heizstrahler habe ich nicht, weil wir im Flusshaus eine Zentralheizung installiert haben. Ich muss morgen einen altmodischen Kerosinofen kaufen, wenn die Zeit noch reicht, bevor Greg kommt. Vorerst lege ich eine alte, grün-weiß karierte Decke dazu, die wir früher zum Zelten mitgenommen haben. Für Jez’ Umzug zu packen erinnert mich tatsächlich ein wenig daran, eine Campingfahrt vorzubereiten. In mir perlt Vorfreude hoch. Am liebsten würde ich es mit ihm zusammen planen, so wie Seb und ich bei unseren Abenteuern. Wir würden gemeinsam eine Liste erstellen und die Aufregung vor einem Urlaub unter dem Sternenzelt genießen. Wir würden große Streichholzschachteln auftreiben, Plastikteller, Konserven. Butankartuschen für den Campingkocher. Kleine Pfannen, die man ineinanderstapeln kann. Aber das geht natürlich nicht. Jez würde sich nur aufregen, wenn ich ihm sage, dass er in einer Garage campen soll. Er würde etwas Überstürztes tun.
    Erst einmal muss ich alles vorbereiten. Ich suche Teelichter und Kerzen zusammen (die meine Eltern seit den winterlichen Stromausfällen in den Siebzigern in der Küchenschublade aufbewahrt haben), Toilettenpapier und einen Komposteimer mit Deckel aus unserer Öko-Phase. In einer Tasche verstecke ich auch eine Packung von den Inkontinenzbinden meiner Mutter; vielleicht werden sie gebraucht. Und ich krame die Bodenplane hervor, die selbst nach dem Lüften und jahrelangem Lagern immer noch nach warmem Gras riecht.
    Mit einem Lächeln erinnere ich mich an die Tupperdosen mit Teekuchen, die Taschenlampen und den Windschutz, die wir hinten ins Auto stopften, als Kit noch klein war. Damals verbrachten wir unsere Urlaube an der eisigen Küste von Norfolk, auf Zeltplätzen voll campingerprobter Familien. Sie waren immer besser für das Leben im Freien ausgerüstet als wir. Kit wollte die Gemeinschaftstoiletten nie benutzen, weil sich überall Schnaken tummelten. Und nachts wollte sie nicht in ihrem eigenen, kleinen Zelt schlafen. Lieber lag sie eingezwängt zwischen uns, eingewickelt in genau diese grün-weiße Decke. Wer war wohl erleichterter darüber, dass sie neben uns lag, sie oder ich? Jedenfalls achtete ich darauf, dass sie sich in die Mitte kuschelte, als willkommener Puffer zwischen Greg und mir. Wie alt war sie damals? Fünf? Sechs? Wir hörten mit dem Zelten auf, als Greg anständig verdiente, und fuhren in Ferienhäuser in Italien, Spanien oder Frankreich.
    An Kits Kindheit erinnere ich mich nur schemenhaft. Als hätte nicht ich, sondern eine andere Frau sie beinahe zwei Jahre lang gestillt und ihr den Weg in die Welt geebnet. Eine andere, bessere Frau, die ihren Windelausschlag mit Sudocrem einrieb, ihr Pflaster auf die Knie klebte, ihr Fiebersaft zu schlucken gab und Läuse aus dem Haar kämmte. Wer war diese Frau, die Krabbelgruppen besuchte und Kuchen buk? Die später, als wir im Flusshaus wohnten, mit ihr durch den riesigen Topshop am Oxford Circus geschlendert ist? Wann habe ich mich verändert? Ist es schrittweise geschehen? Als sie bei der Krabbelgruppe zu einer Freundin gelaufen ist statt zu mir und ich gemerkt habe, dass ich für sie nicht mehr der Mittelpunkt des Universums bin? Als sie allein mit ihrem Fahrrad losfuhr und ich nicht mehr wusste, wo sie in jeder einzelnen Sekunde war? Als ich zum ersten Mal zufällig sah, wie sie einen Jungen küsste, und es mir einen Stich versetzte, dass sie kein Kind mehr war?
    Oder war es ein grundlegender, katastrophaler Umbruch? Geschah er plötzlich, auf der einsamen Autofahrt nach Hause, nachdem ich sie an der Universität gelassen hatte? Als mich die schreckliche Erkenntnis traf, dass jeder geliebte Mensch nur in unser Leben tritt, um uns wieder zu verlassen?
    Kurz bevor ich zur Garage zurückgehe, fülle ich eine Wärmflasche, damit Jez ein warmes Bett erwartet. Den Müllsack ziehe ich über den Fußweg hinter mir her. Es ist beinahe dunkel und regnet, ein feiner, eiskalter Sprühregen. Jetzt könnte ich doch eine Taschenlampe gebrauchen. In der Garage ist es stockfinster. Ich kann die Tür nicht offen lassen, damit nicht irgendein Fußgänger misstrauisch wird und genauer hinsieht, als er soll. Aber selbst bei geschlossener Tür zieht

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