Ich beschütze dich
bernsteinfarbenes Rechteck, aber überall sonst schlafen die Menschen. Nirgends ein Lebenszeichen. Ich schlüpfe durch die Tür in der Mauer, öffne die Haustür und horche, bevor ich den Flur betrete. Schließt sich oben leise eine Tür? Ich bin nervös. Bilde mir Dinge ein. Alle Sinne sind schmerzhaft geschärft. Mein Mund ist trocken. Meine Finger kribbeln.
Einen langen Moment stehe ich still und wage kaum zu atmen. Ich gleite durch die Flurtür, Mantel und Stiefel lasse ich vorne. Stehle mich ins Bad. Sperre zu. Warte. Versuche, still Luft zu holen, aber die Atemzüge kommen als lautes Keuchen. Ich drehe das kalte Wasser auf und spüle mein blutendes Handgelenk unter dem eiskalten Strahl ab. Das Blut lässt sich nicht stoppen, es quillt weiter aus den kleinen Schnitten und färbt das Wasser rosa, während es in den Abfluss strudelt. Ich horche. Oben läuft jemand! Ich höre die Dielen knarren, dann Schritte auf dem Treppenabsatz. Wieder wird eine Tür geschlossen. Als es still ist, schalte ich das Licht mit dem Zugschalter aus und schiebe den Riegel zurück. Öffne die Tür. In der Dunkelheit kommt mir eine schlanke Gestalt entgegen.
»Sonia.«
Es ist Harry.
»Ich muss mal. Ich habe vergessen, wo oben das Bad ist.«
»Tun Sie sich keinen Zwang an.« Was ist denn in mich gefahren, dass ich mit einer Floskel antworte, die ich sonst nie benutze? Im Dunkeln in der Tür zum unteren Badezimmer klingt sie völlig absurd. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber ich spüre seinen Blick im Rücken, als ich die Treppe zum Schlafzimmer hinaufgehe, um wieder neben Greg unter die Decke zu schlüpfen.
K APITEL S ECHZEHN
Freitag
Sonia
Am nächsten Tag, einem Freitag, verkündet Greg, er habe Karten für eine Kostümprobe von Tosca im Royal Opera House und wolle uns zu einer Fahrt mit dem Clipper den Fluss hinauf einladen, mit Champagner und Abendessen nach der Probe. Kit ist vor kindlicher Begeisterung ganz aus dem Häuschen. Über dem morgendlichen Kaffee steckt sie mit Greg die Köpfe zusammen und redet über die Sopranos, während Harry duscht. Das alles nehme ich nur schemenhaft wahr. Es kommt mir vor, als würde ich sie aus einem Paralleluniversum beobachten. Ich kann Jez nicht allein lassen. Nicht nach unserem Streit letzte Nacht. Ich muss sicher sein, dass es ihm gut geht und dass wir wieder Freunde sind. Es war schrecklich und grausam, ihn so zurückzulassen. Ich muss ihm klarmachen, dass ich für ihn nichts als Zärtlichkeit empfinde.
»Judy kommt«, beklage ich mich bei Greg. »Ich lasse sie nicht gern im Haus allein. Wenn ich nicht hier bin, arbeitet sie nicht ordentlich.«
Was Unsinn ist. Ich habe mich noch nie darum gekümmert, wie Judy arbeitet. Sie putzt seit mindestens fünfzehn Jahren das Flusshaus, und ich habe sie immer einfach machen lassen, genau wie meine Mutter vor mir.
»Ach, Schatz. Wie oft können wir schon mal freinehmen und uns etwas gönnen, und das mit Kit. Und Harry.«
Ich kneife die Augen zusammen und sehe vor mir Jez in der eisigen Garage. Gefesselt. Geknebelt. Einsam. Mit verschmutzter Wäsche. Böse auf mich.
»Leg Judy einen Zettel hin und versuch ausnahmsweise mal, dich zu entspannen.« Greg schlingt mir von hinten die Arme um die Taille, was ich nicht ausstehen kann, und vergräbt die Nase an meinem Hals.
»Wir müssen los«, sagt er. »Holt eure Mäntel und Schals, Leute, auf dem Fluss ist es heute saukalt.«
»Ich komme zum Anleger nach«, sage ich. »Geht schon vor, ich schreibe noch den Zettel für Judy.«
»Ich warte auf Sie«, bietet Harry an. »Geh ruhig, Kit. Dann hast du einen Moment allein mit deinem Vater.«
Harry wartet auf mich, während ich demonstrativ eine Nachricht für Judy schreibe und sie daran erinnere, dass wir kein Parkettwachs mehr haben, aber die Spiegel mal geputzt werden könnten, und dass im Schrank unter der Spüle ein Limonen-Essig-Spray steht. Ein absolutes Schmierentheater. Was um Himmels willen wird Judy denken? Sie fragt sich sicher, was nach so vielen Jahren in mich gefahren ist. Würde Harry mir beim Schreiben nicht über die Schulter sehen, würde ich den Zettel zerknüllen und in den Papierkorb werfen, doch seinetwegen muss ich die Scharade weiterspielen. Er schafft es offenbar nicht, einen angemessenen Abstand zu wahren. Es gibt solche Leute. Ohne jedes Gespür für die Privatsphäre anderer. Sie scheinen zu ahnen, wohin man sich wenden will, und stehen schon exakt an der Stelle. Als ich mir an der Spüle ein Glas Wasser hole – ich
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