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Ich beschütze dich

Ich beschütze dich

Titel: Ich beschütze dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Penny Hancock
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Ich wünschte, hier gäbe es fließendes Wasser. Ich habe einen Waschlappen mitgebracht, damit du dir das Gesicht abwischen kannst. Und in dem Plastikkanister ist Wasser. Ich mache es dir so angenehm, wie es unter diesen Umständen geht.«
    Ich sage, dass ich jetzt schon eine seiner Hände befreie, damit er etwas trinken kann. Ich schneide das Band mit der Küchenschere durch, die ich in der Manteltasche mitgebracht habe. Als ich ihm das Wasserglas an die Lippen halte, wird er wieder schwierig.
    Er schlägt mir das Glas aus der Hand, so dass es gegen den Bettpfosten knallt. Ich sehe schon, dass er wütend genug ist, um mich sogar im Sitzen anzugreifen. Irgendwie hat er es geschafft, eine Glasscherbe zu packen, und als ich zurückweiche, geht er vom Bett aus auf mich los. Ich drehe mich vor seiner Hand weg, doch er erwischt mich mit der Scherbe am Handgelenk und zieht eine lange, unterbrochene Schramme über die Haut. Zum Glück ist er durch die Schlaftabletten von letzter Nacht noch geschwächt, und mit den Füßen und einer Hand, die noch an die Bettpfosten gefesselt sind, kann er sich nicht groß bewegen. Diesen Vorteil nutze ich, um ihn zurück auf das Bett zu drücken. Ich knie mich auf ihn. Schreiend will er mich wieder mit der freien Hand angreifen, aber offenbar hat er durch die Kälte kein Gefühl mehr darin und kann nicht viel damit ausrichten. Ich packe seine Hand und drehe sie herum. Er schreit auf, als ich Klebeband von der Rolle in meiner Tasche abreiße und seine Hand wieder fest an den Bettpfosten binde.
    Ich stehe auf und blicke auf ihn hinab. Seb hat mir oft Angst gemacht, er hat immer wieder gedroht, mich allein zu lassen. Und er konnte grob werden. Doch er hätte mich nie so angegriffen wie Jez gerade. Ich schlucke.
    »Jez, ich binde dich nicht gerne so fest, wirklich nicht. Viel lieber würde ich dich herumlaufen sehen und dir zuhören, wenn du spielst. Aber was du gerade getan hast, hat mich verletzt.«
    Ich warte kurz, und als ich merke, dass er nicht antworten wird, spreche ich mit der Stille.
    »Das ist alles nur zu deinem Besten«, sage ich. Ich ziehe den Schal aus dem Spalt unter dem Fenster und binde ihn Jez widerstrebend fest über den Mund.
    »Nur zu deinem Besten.«
    Draußen ist es stockdunkel und so kalt, dass meine Augen brennen. Es dauert mehrere Minuten, bis ich mich an die Dunkelheit gewöhnt habe. Am Himmel ist kein Stern zu sehen. Die Flut ist hoch angestiegen, und das Wasser schwappt nicht einmal einen Meter unterhalb der Kante gegen die Mauer. Vom stählernen Aufbau des Kohlenanlegers dringt ein beharrliches Klirr Klirr Klirr , als wollte jemand meine Aufmerksamkeit erregen. Der Rhythmus ist zu gleichmäßig für den Wind, bestimmt rede ich mir etwas ein. Angestrengt versuche ich, etwas zu sehen. Aber da ist nichts außer dem tiefschwarzen Umriss des Anlegers vor der schwarzen Nacht. Das Klirren wechselt kurz in einen anderen Rhythmus, als hätte sich bewegt, wer oder was auch immer da oben ist. Ich weiß, woher das Geräusch kommt, es ist ständig zu hören; ein großes Stück Wellblech hat sich gelöst, und sein Klappern im Wind wird in besonders stürmischen Nächten zu einem Schlagen. Zögernd gehe ich weiter. Ich höre das gleichmäßige Schlürfen des Wassers an der Ufermauer. Dann bin ich mir sicher. Ich höre Atmen.
    Ich wage es nicht, mich zu rühren. Etwas ist da unten vor der Wand, auf dem Wasser. Es zieht mich an, ich will nach unten spähen, nachsehen, wer da ist. Eine Schar Schwäne dümpelt auf dem Fluss, zusammengedrängt zum Schutz gegen die Kälte, ein unheimlicher, silberner Schimmer in der Dunkelheit. Vor Erleichterung überläuft mich ein warmer Schauer. Irgendwo habe ich mal gehört, dass Hindus Schwäne verehren, weil ihr Gefieder im Wasser nicht nass wird. So wie ein Heiliger in der Welt lebt, ohne ihr verbunden zu sein. Einer der Schwäne hebt die Flügel, breitet sie aus und entblößt den muskulösen weißen Bauch, und ich muss an eine Aufführung von Schwanensee denken, an die Bewegungen der sehnigen Balletttänzerinnen. Über dieses Bild legt sich der Anblick von Jez, wie er mit den Armen über dem Kopf dalag, als ich die Garage verließ. Wieder stimmt es mich traurig, dass er seine Schönheit verliert, wenn er dort vor sich hinsiecht. Ich folge dem Fußweg weiter bis zum Flusshaus. All die vielen Bilder, die Schwäne, die Balletttänzerinnen, Seb, Jez, vermischen sich in meinem Kopf.
    Ein Stück weiter erstrahlt ein Fenster als helles,

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