Ich beschütze dich
Donnerstagabend noch aufgeblieben und habe mich betrunken, allein. Klingt etwas jämmerlich, ich weiß. Aber manchmal brauche ich das einfach. Wenn Mick und die Jungs mit ihren Sachen beschäftigt sind, fühle ich mich einsam, Sonia. Ich bin schon lange einsam. Und manchmal komme ich damit nicht zurecht.« Zwei Tränen laufen ihr über die Wangen. Helen wischt sie mit beiden Zeigefingern fort, dann holt sie tief Luft und trinkt einen Schluck Wein.
»Also. Am Donnerstag habe ich getrunken. Viel zu viel. Freitag habe ich es nicht zur Arbeit geschafft. Habe mich in einen Pub gesetzt. Wieder getrunken. Es ist erbärmlich. Und jetzt habe ich die Polizei angelogen, um das Gesicht zu wahren!«
»Mein Gott, Helen, da hast du dir wirklich einen ziemlichen Schlamassel eingebrockt.« Ich bin so erleichtert, dass sie mir nichts Schlimmeres erzählen will, dass ich sie umarmen könnte.
»Nein, nein. Die Sache ist die, dass es gut gehen könnte. Ich habe ihnen erzählt, ich wäre im Dampfbad gewesen. Jetzt brauche ich nur eine gute Freundin. Jemanden ohne eine Verbindung zu Jez, die sagt, sie hätte mich da gesehen. Das klingt doch einleuchtend. Ich habe an dich gedacht, weil du freiberuflich arbeitest, es könnte also doch sein, dass du am Freitagvormittag ins Dampfbad gehst.«
»Weißt du, Helen, ich glaube, ich möchte damit lieber nichts zu tun haben. Tut mir leid. Wäre es nicht sowieso etwas spät? Wenn sie wissen, dass du beim ersten Mal nicht die Wahrheit gesagt hast, haben sie das mit dem Dampfbad doch bestimmt schon überprüft.«
Helen spielt mit dem Kleingeld herum, das ich auf den Tisch gelegt habe. Sie nippt an ihrem Wein.
»Was soll ich machen? Wenn du mir nicht hilfst, bin ich geliefert.«
»Bist du nicht, Helen. Sag ihnen, dass du im Pub warst, wenn das stimmt. Sag ihnen die Wahrheit.« Langsam werde ich ungeduldig. Um Himmels willen, sie hat überhaupt nichts verbrochen. Sie hat nicht alles zu verlieren. Helen sieht verletzt aus, als könnte sie gleich losheulen.
»Und Mick?«, frage ich schließlich freundlicher. »Wie läuft es mit ihm?«
Sie zieht die Nase hoch und trinkt das zweite Glas leer.
»Es ist noch komplizierter, als ich zugegeben habe. Nicht mal mir selbst habe ich es eingestanden. Diese Eifersucht. Ich habe viel nachgedacht. Es gab da jemanden, ein Jahr ist das mittlerweile her, mit dem ich was hatte.«
»Aha.«
Damit hätte ich nicht gerechnet. »Willst du mir sagen, mit wem?«
»Es ist vorbei, Sonia. Ich habe Schluss gemacht. Um unsere Ehen zu retten. Seine und meine.«
»Das war richtig so.« Ich kann kaum glauben, dass mir das über die Lippen gekommen ist. Wann wusste ich denn mal, was »richtig« war?
»Aber seitdem habe ich ein schlechtes Gewissen. Wie kann ich Mick zur Rede stellen, weil ich vermute, er hätte eine Affäre mit Maria? Das könnte er mir sofort um die Ohren hauen! Als er die Sache mit mir herausgefunden hat, ist er damit fertiggeworden. Es hat ihm nicht gefallen, aber er ist nicht darauf herumgeritten. Jetzt nagt diese Geschichte mit Maria an mir. Ich verliere mein ganzes Selbstvertrauen, meine Würde.«
»Ach, Helen.« Was sie beschreibt, kann ich genau nachempfinden, die gleiche Tortur habe ich vor so vielen Jahren wegen Jasmine durchgemacht. Diese Zwickmühle. Zeigt man seinen Schmerz, riskiert man Verachtung, verbirgt man ihn, geht die Quälerei weiter. Es ist ein Fluch. Aber ich sage nichts.
»Ich hatte mir eingeredet, zwischen Mick und mir wäre wieder alles normal. Doch dann passiert das, und die Fassade unserer angeblich glücklichen Ehe stürzt einfach ein. Es gab Bruchstellen, die wir nicht sehen wollten. Ein Ruck genügt, damit alles zusammenbricht. Jez wird vermisst, und alles geht kaputt.«
Eine Weile sitzen wir schweigend da.
»Das einzig Gute ist, dass ich Alicia auf diese Weise näher kennenlerne, Jez’ Freundin. Sie kommt oft vorbei, die Arme, ist ja auch verständlich. Sie ist am Boden zerstört. Aber sie leistet mir Gesellschaft. Und sie findet das Benehmen der beiden auch widerlich. Mit Maria hat sie sich nie gut verstanden. Wenn Alicia sieht, wie Mick meine Schwester von vorne bis hinten bedient, steckt sie sich den Finger in den Hals. Das lenkt uns wenigstens ab von den Sorgen um Jez. Ich versuche, es so zu sehen, Sonia, aber ich habe Angst, meine Gefühle könnten jeden Moment hervorbrechen und sie würden sehen, wie verletzt ich bin. Nicht verletzt. Wütend, durcheinander, schuldbewusst, verwirrt. Meine Gefühle sind das reinste
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