Ich beschütze dich
Chaos.«
Mittlerweile klingt sie ein wenig angetrunken.
Ich würde Helen gerne beruhigen. Trotz allem mag ich sie. Ich erinnere mich dunkel, dass es sehr schön ist, mit anderen Frauen Geheimnisse zu teilen, es kann beinahe so berauschend wie eine Affäre sein. Oft habe ich dieses Privileg nicht genossen. Meine größten Leidenschaften haben sich im Verborgenen abgespielt, sie konnten sich nicht erhobenen Hauptes zeigen. Aber aus der Zeit, als ich Greg kennenlernte und seinetwegen Zweifel hatte, und von den Abenden, die ich mit verliebten, aber unsicheren Freundinnen in Bars verbracht habe, weiß ich noch, wie vertraut und aufregend solche Gespräche sein können.
»Ich muss zurück.« Sie beugt sich vor, und als sie meine Hand drückt, rieche ich einen Hauch von ihrem Vanilleparfüm. »Versprich, dass du dich mal meldest, ja? Wo wir jetzt wieder Kontakt haben? Du bist die Einzige, mit der ich wirklich darüber reden kann.«
Ich verspreche, ich würde mich natürlich mal melden.
Nachdem sie gegangen ist, lehne ich mich zurück und blicke den Hügel hinunter und über den Fluss auf die Türme in Canary Wharf, den HSBC Tower, das kleine Manhattan, das dort drüben gewachsen ist, mit seinen Wolkenkratzern und unzähligen silbernen Fenstern. Sie blitzen gerade in einem Sonnenstrahl auf, der seinen Weg durch die Wolken gefunden hat. Ich erinnere mich daran, wie es früher ausgesehen hat, als Seb und ich das Flussufer zu unserem Spielplatz erkoren hatten, und dass die Isle of Dogs für uns tabu war. Es kommt mir vor, als wäre ich einen Schritt zu weit auf die verbotene Seite des Flusses gegangen. Als würde alles, was geschieht, mich weiter in die dunklen Straßen und zwischen die verborgenen Bombenblindgänger führen. Ich frage mich, wie ich jemals zurückfinden soll. Oder ob ich das überhaupt will.
K APITEL S ECHSUNDZWANZIG
Sonntag
Sonia
»Ich gehe jetzt, Sonia.« Greg steht an der Tür. Sein Koffer ist gepackt, er trägt die Jogginghose, die Freizeitjacke und seine weißen Adidas-Turnschuhe, in denen er immer reist.
»Ich hätte gerne mehr Zeit mit dir verbracht. Aber wir haben beide zu tun. Vielleicht kannst du ja über die Sachen nachdenken, über die wir geredet haben. Vergiss nicht, was du mir versprochen hast.«
»Was denn?«, frage ich.
»Zum Arzt zu gehen. Ach ja, ich habe ein paar Makler angerufen. Sie kommen vorbei, um Fotos zu machen. Nur Fotos, Sonia, also werde nicht wieder komisch.«
»Wann? Wann kommen sie?«
»Irgendwann nächste Woche. Einer am Dienstag, glaube ich. Sie melden sich.«
»Okay«, sage ich, äußerlich lächelnd, innerlich kochend vor Wut. Ich beuge mich vor und küsse ihn auf die Wange. Greg streift mit seinen trockenen Lippen über meine Mundwinkel und klopft mir auf die Schulter, bevor er den Fußweg hinaufgeht.
In der Garage herrscht an diesem Nachmittag ein scheußlicher Gestank. Meine Augen brauchen eine Weile, um sich an das Licht zu gewöhnen, dann sehe ich, dass es Jez gar nicht gut geht. Er liegt verrenkt auf dem Bett, als hätte er sich im Schlaf herumgewälzt, und unter seinem Mund hat sich auf dem Kissen eine seltsame braune Pfütze gebildet. Seine glasigen Augen sind geöffnet, aber nur einen Schlitz weit. Ich fühle seine Stirn. Er hat hohes Fieber. Dann sehe ich, dass er ins Bett gemacht hat, trotz der Einlagen, und dass auf dem Boden eine Lache Erbrochenes ist.
»Ich bringe dich schnell wieder in Ordnung«, verspreche ich ihm. »Ich wollte dich nicht so lange allein lassen. Jetzt machen wir dich sauber und sehen zu, dass du so schnell wie möglich wieder ins Musikzimmer kommst.«
Mit verschleiertem Blick sieht er zu mir auf. »Ins Musikzimmer?«
»Natürlich. Sobald die Luft rein ist. Ich will doch nicht, dass du hierbleibst.« Sieh nur, was es aus dir macht, denke ich. Du brauchst Licht und Luft und Musik.
»Nein! Dann ertrinke ich, geh weg. Geh weg! Geh weg! Da ist noch einer, da drüben. O bitte!«
Zuerst denke ich, er würde mit mir reden, aber dann merke ich, dass er entsetzt auf ein eingebildetes Monster hinter mir starrt.
Er fantasiert. Ich fühle noch einmal seine Stirn und seinen Hals. Die Haut unter seinen Haaren brennt. Ich versuche, mich an Ratschläge zu erinnern, die sich jungen Müttern ins Gedächtnis graben. Überflüssige Kleidungsschichten ausziehen, um das Fieber zu senken. Einen kalten Waschlappen auf die Stirn legen. Alle vier Stunden ein Fiebermittel geben. Aber wann muss man zum Arzt? Was habe ich gelernt, als bei Kit
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