Ich beschütze dich
und sehe ihn an. Er zittert unkontrollierbar, seine Zähne klappern. Aus seinen Augen spricht Verunsicherung. Wie bei einem Kind, das seine Mutter nicht gehen lassen will. Es erfüllt mich mit unerträglicher Zärtlichkeit.
»Worüber soll ich reden?«
»Egal. Vielleicht über Greg. Sie haben erzählt, dass er zu Hause ist. Wie haben Sie sich kennengelernt? Eine Schauspielerin und ein Arzt?«
»Ich würde mich nicht mehr als Schauspielerin bezeichnen.«
»Helen sagt, Sie sind eine.«
»Wirklich?«
»Ja.«
Ich setze mich auf sein Bett. Will sehen, ob er wirklich interessiert ist. Er hat die Augen geschlossen, über die Stirn zieht sich eine flache, kindliche Sorgenfalte. Also fange ich an zu reden. Ich habe noch nie jemandem Einzelheiten über meine Ehe erzählt. Mich überkommt plötzlich der Wunsch, ihm alles zu erzählen, solange er so duldsam ist.
»Greg war Professor an meinem College. Ein Medizinstudium war eigentlich nicht das Richtige für mich, aber mein Vater hatte es so beschlossen, und ich habe mich aus lauter Angst vor ihm nicht getraut, etwas anderes zu machen. Ich habe Gregs Vorlesung besucht. Anatomie oder so was. Ich bin nur hingegangen, damit ich etwas zu tun hatte. Aber das willst du doch gar nicht hören, Jez.«
»Doch, will ich. Wirklich.«
»Greg war deutlich älter, seine Schläfen wurden schon grau. Ich war etwas eingeschüchtert. Obwohl ich ihn damals natürlich noch nicht kannte.«
Ich stocke. Ich will Jez nicht den Eindruck vermitteln, meine Beziehung zu meinem Mann sei glücklich oder sei es je gewesen.
»Ist Greg sehr schlau?«
»Ja, das kann man wohl so sagen.«
Ich würde gerne hinzufügen, dass ein kluger Mann nicht unbedingt freundlich oder liebenswürdig sein muss, dass er dadurch nicht mitfühlend wird, auch wenn ich früher geglaubt habe, das würde Hand in Hand gehen.
»Von mir weiß er nichts?«
»Nein.«
»Manchmal sehe ich mir alte Leute an und denke, so würde ich auch sein wollen«, murmelt Jez. »Nicht alle Erwachsenen sind langweilig. So wie Sie, Sonia. Sie sind nicht langweilig.«
Ich mustere ihn und frage mich, was er mit diesen Worten bezweckt. Aber sein Gesicht verrät nichts, also erzähle ich weiter.
»Ich habe mir Sorgen wegen der Prüfungsnoten gemacht, und Greg meinte, er würde mir helfen, ich sollte das ruhig ihm überlassen, aber dafür müsste ich mit ihm essen gehen. Ich war so naiv! Heutzutage würde sich das keine Studentin von ihrem Dozenten gefallen lassen. Ich habe mich geschmeichelt gefühlt. Nicht nur geschmeichelt. Auch erleichtert. Dadurch würde ich gute Noten bekommen und dem Zorn meines Vaters entgehen. Ich habe natürlich gedacht, es ginge nur um ein Essen, ich sollte für einen Abend eine nette Begleitung abgeben. In Wahrheit hat Greg nur darauf gewartet, dass wir allein waren, bis er … na ja, du kannst es dir denken. Ich saß in der Falle – hätte ich ihn abgewiesen, wäre ich vielleicht durchgerasselt. Die Aussicht, danach meinem Vater unter die Augen zu treten, war schrecklicher, als gegen meinen Willen mit Greg zu schlafen. Und bevor ich wusste, wie mir geschah, waren wir … na ja, wir gingen miteinander ins Bett.« Ich zögere und überlege, ob ich Jez erklären soll, wie wenig so etwas bedeuten kann. »Und siehe da, am Ende meines ersten Jahres hatte ich die besten Noten in meinem Jahrgang. Ich habe das nicht weiter hinterfragt. Ich war einfach froh, dass ich eine Möglichkeit gefunden hatte, meinen Vater zufriedenzustellen. Obwohl mir das ironischerweise nie wirklich gelungen ist.«
Es ist seltsam, das laut auszusprechen, als würde ich in Gedanken alles zum ersten Mal zusammenfügen. Und Verbindungen erkennen, die mir bisher nie richtig bewusst waren.
»Trotz oder vielleicht wegen meiner überragenden Noten war ich am Ende meines zweiten Jahres mutig genug und sagte Greg, dass ich zum Schauspiel wechseln will. Ich dachte, er wäre dagegen, aber er hat mich unterstützt.«
»Was war mit Ihrem Vater?«
»Was sollte mit ihm sein?«
»War er nicht böse, dass Sie nicht weiter Medizin studiert haben?«
Ich sehe Jez an. Ich weiß nicht, warum er dieses Gespräch führen will. Aber es ist genau das, was ich immer gebraucht habe. Meine Ehe zu erklären. Sie zu rechtfertigen. Ich habe mir oft vorgestellt, ich würde Seb diese Geschichte erzählen, wenn er je zurückkäme.
»Da war mein Vater schon tot«, sage ich leise. »Nach den Prüfungen im ersten Jahr habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
»Dann ist er jung
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