Ich beschütze dich
dem Weg neben ihr hergelaufen, hatten sich einen Stein zugespielt wie einen Fußball und Witze gerissen über lange Wörter auf Schildern, die für Leute galten, die sie ohnehin nicht verstehen würden.
»Für Leute wie mich«, sagte Jez mit seiner Lese-Rechtschreibschwäche.
»Stimmt«, meinte Barney. »Zu dir könnte das Schild ›Alkoholisierte Musiker verboten!‹ passen, aber du würdest dir wohl trotzdem weiter was hinter die Binde kippen und auf deiner Gitarre rumklimpern.«
Zwischen ihren Söhnen und Jez hatte es nie Feindseligkeiten gegeben. Sie schienen in einer gutmütigen Welt der Männerkameradschaft zu leben, die sich seit ihrer Kindheit kaum verändert hatte. Sie zogen sich gegenseitig auf. Kletterten überall hoch. Gingen auf Konzerte.
Sie hatte gerade den Fuß des Hügels erreicht, als ihr Telefon klingelte. Alicia rief an.
»Ich muss mit Ihnen reden. Ich habe eine Spur gefunden.«
»Wo bist du?«
»Vor der Uni. Auf dem Flusspfad. Können Sie herkommen? Dann kann ich Ihnen zeigen, wo ich es gefunden habe.«
Helen zögerte. Sie wollte nach Hause gehen, ihr war nach einem Bad und einem Drink. Aber hier ließ sich vielleicht etwas Konstruktives tun.
»Ich bin im Park. Ich komme zu dir. Warte da.«
Alicia saß auf einer Bank und starrte auf den Fluss, als Helen sie fand. Es herrschte Flut, das Wasser schwappte nicht mal einen Meter tiefer gegen die Mauer. Allmählich wurde es dunkel, und die Lichter gingen an, gelbe auf dem Weg, rote, weiße und blaue Sprenkel auf dem Fluss und am gegenüberliegenden Ufer. Alicia sah zu Helen auf und streckte ihr auf der offenen Hand ein winziges, angefressenes Stück Pappe entgegen.
»Was ist das?« Helen setzte sich neben sie auf die Bank und spürte sofort, wie kalt der Sitz war.
»Ein Tip«, antwortete Alicia. »Von Jez. Habe ich da drüben auf dem Weg gefunden.« Sie deutete nach rechts. »Direkt vor dem Kraftwerk.«
Helen sah in die Richtung, in die Alicia gewiesen hatte. Der Fluss wurde im Osten schwarz, unergründlich, regelrecht bedrohlich in der anbrechenden Dunkelheit. Auf der anderen Seite zur Stadt hin spiegelte sich auf ihm noch silbrig der Sonnenuntergang.
»Wieso glaubst du, er wäre von Jez?«
»Er ist von einer Karte für ein Konzert, auf dem wir waren. Ich bin mir sicher. Ich erkenne es wieder. Am Abend, bevor er verschwunden ist, haben wir Tüten gedreht. Wir haben sie nicht geraucht, weil Sie nach Hause gekommen sind.«
»Ich?«
»Ja, wir haben gedacht, Sie hätten was dagegen.«
»Und das hast du da drüben gefunden?«
»Ja. Er wollte sich mit mir im Fußgängertunnel treffen. Hier wäre er entlanggekommen. Den Hügel runter, am Cutty Sark Pub vorbei und dann über den Weg. Der Eingang zum Fußgängertunnel ist gleich da drüben.« Sie deutete mit dem Kopf nach links. »Ich wollte selbst nachforschen. Sonst sucht niemand ordentlich.«
Helen bezweifelte, dass der Papierfetzen von Jez stammte. Vermutlich brauchte Alicia das Gefühl, sie hätte eine Spur gefunden, und ihre Entdeckung machte ihr Hoffnung. Helen ließ sich nicht gerne auf etwas ein, das sich mit ziemlicher Sicherheit als falsche Fährte erweisen würde, aber man durfte auch nichts außer Acht lassen, das hatte die Polizei gesagt.
»Dann hast du den Tip in der Nähe von Sonia gefunden?«
»Sonia?«
»Eine Freundin von mir. Die, von der Jez sich eine Platte leihen wollte. Ihr Haus steht da hinten, vor dem Kraftwerk. Er hätte den Tip auf dem Weg zu ihr wegwerfen können.«
»Und was machen wir jetzt?«
»Wir gehen da rüber, und du zeigst mir genau, wo du das Ding gefunden hast.«
Sie standen auf und gingen rasch los, das Licht im Rücken. Das Saugen und Schlürfen des Wassers an der Mauer ließen Helen schaudern. Vor ihnen ragten die dunklen Schatten der eisernen Geländerstäbe und ihre eigenen unförmigen Gestalten auf, wuchsen an und verschwanden mit jedem Lichtkegel der Laternen. Sie gingen am Pub vorbei und den Fußweg entlang. Sonias Haus lag im Dunkeln, die Laterne davor brannte nicht. Der Weg war duster und still und wirkte einsam im Vergleich zur hell erleuchteten O2-Arena an der nächsten Flussbiegung und den weißen Lichtern in Canary Wharf am anderen Ufer. Sie folgten dem Fußweg bis zum Kraftwerk, das wuchtig und bedrohlich über ihnen aufragte. Unter dem Kohlenanleger blieb Alicia stehen.
»Hier«, sagte sie und zeigte auf den Boden vor der Mauer. »Hier habe ich den Tip gefunden.«
Der Wind hob etwas Großes in dem schwarzen Bau über ihnen an,
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