Ich beschütze dich
Raum einen seltenen Glanz. Kleine Bereiche zeichnen sich scharf ab, die Tassen, die am Regal der Anrichte hängen, die Orangen in der Obstschale. Die Reihe Marmeladengläser schimmert bernsteinfarben in der Sonne. Ich fühle mich ein wenig losgelöst von allem, vielleicht weil ich fast die ganze Nacht wach war.
»Wie läuft denn das Geschäft?«, fragt Simon. »Keine zu großen Probleme durch die Wirtschaftskrise? Nur gut, dass die Menschen immer eine Ablenkung brauchen. Ach, ich wollte noch fragen, ob es dir gut genug ging, um Tosca zu sehen.«
»Ja, so gerade. Und ich fand es wunderbar. Du warst großartig, Simon, wie immer.«
In gewisser Weise ist es fantastisch, dieses gefährliche Geheimnis zu haben, dieses Doppelleben. Ich hätte nie vorhergesehen, dass sich Jez’ Aufenthalt hier so auswirken würde. Jedes Mal, wenn ich mit irgendetwas davonkomme, versetzt mir das einen euphorischen Kick, wie ich ihn seit meiner Kindheit nicht mehr erlebt habe.
Eine Brise vom Fluss trägt einen neuen Geruch herüber. Einen frischen Duft nach dem bedrückenden Chemikaliendunst, der im Winter unter den Wolken festsaß.
»Was für ein herrlicher Tag!« Simon hat sich auf die Fensterbank gelehnt und blickt auf das Wasser. Die Oberfläche wirkt in diesem Licht beinahe fest, wie Seide oder poliertes Metall. »Glaubst du, es wird endlich Frühling?«
Der Tag ist wirklich herrlich. Es fühlt sich an, als steige mein Herz empor wie ein Spinnenjunges, das mit seinem seidenen Gleitschirm in die Frühlingsluft über dem Fluss segelt.
Ich habe Jez. Er wird gesund, dank mir. Ich fühle mich wie damals als Kind am ersten Tag der Sommerferien, als ich beim Aufwachen wusste, dass die grauenhafte Schule weit weg war und ich nicht an sie denken musste. Dass vor mir lange, freie Tage lagen.
Als Kit vielleicht sechs oder sieben war, hat sie gesagt, sie hätte eine Fledermaus kreischen hören. Wir haben ihr erklärt, sie hätte sich getäuscht, Menschen könnten solche Geräusche nicht hören. Jetzt entdecke ich Gefühle, die so extrem sind, dass ich vorher nie Zugang zu ihnen hatte. Emotionale Höhen, von denen ich gedacht hätte, dass ein Mensch sie ebenso wenig erleben kann, wie ein Fledermausruf mit dem menschlichen Gehör wahrnehmbar ist.
Nachdem Simon um elf Uhr gegangen ist, sehe ich nach Jez.
»Wo bin ich?«
»Alles in Ordnung, Jez. Du bist wieder im Musikzimmer.«
Sogar er muss diese Leichtigkeit spüren, diese luftigere Atmosphäre, die Sonnenstrahlen, die durch die Oberlichter fallen und die Decken auf seinem Bett wärmen.
»Welcher Tag ist heute? Wie spät ist es?«
»Es ist Montag. Später Vormittag. Möchtest du einen Kaffee?«
Es geht ihm immer noch schlecht, ihm ist nicht nach einem Kaffee, sagt er.
»Im Badezimmer sind frische Seife und saubere Handtücher, wenn du sie brauchst, das weißt du, oder? Das ganze Musikequipment steht hier. Bücher, das Radio. Und du hast mich, gleich hier, ich verwöhne dich nach Strich und Faden. Das mache ich gerne für dich, Jez, das weißt du doch.«
»Mmm.« Er fühlt sich immer noch nicht gut, obwohl er mittlerweile leichter Luft kriegt. Er kann kaum die Augen aufhalten und zittert wieder.
»Ich habe Schmerzen im Rücken«, sagt er. »Zwischen den Schulterblättern.«
»Na ja, du brauchst Ruhe. Und du musst dich waschen und dir die Zähne putzen.«
Ich hole einen Waschlappen und eine Zahnbürste und mache ihn so gut wie möglich sauber. Er ist so schwach, dass ich ihm erlaube, ins Bad zu gehen und sich zu erleichtern, wonach er zum Bett zurückschlurft und sich mit einem Seufzen hinlegt.
»Ich hole dir eine Wärmflasche.«
»Ja, ja bitte. Mir ist so kalt. In der Garage sind mir die Finger gefroren. Sehen Sie mal! Meine Finger sind ganz starr!«
Ich schiebe die Wärmflasche unter die Decke, und da er offensichtlich fantasiert, überlege ich, ob ich mich vorbeugen und ihn küssen könnte, ohne ihn zu erschrecken. Aber seine Lippen sehen nach der Krankheit trocken aus, und er verströmt einen säuerlichen Geruch. Das macht mir Sorgen, er könnte einen Rückfall bekommen.
Unten setze ich mich im Flur an Gregs Computer, der die Haustür zur Straße hin blockiert. Die Tür, die wir nie benutzen. Ich gebe Jez’ Symptome bei Google ein. Es klingt alles nach einer Lungenentzündung. Damit wird er ziemlich lange krank sein und wenig Kraft haben. Das erklärt seinen Husten und die Schmerzen zwischen den Schulterblättern. Es sieht zwar ernst aus, aber wenn ich mich besonders gut um
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