Ich beschütze dich
Kapuzenpullis, in denen er hergekommen ist, und finde in einer seinen Inhalator. Ich halte ihn Jez an die Lippen und drücke. Das bringt leichte Linderung, doch Jez ist weiter kaum bei Bewusstsein.
Als sich gegen vier Uhr immer noch keine Besserung abzeichnet, wird mir klar, dass ich mir einen Plan zurechtlegen muss, wenn ich für Jez sorgen will. Was in diesem Fall heißt, ihn am Leben zu halten. Ich durchdenke es Schritt für Schritt und versuche dabei, meine Reue und Verlustgefühle fernzuhalten. Jez darf nicht sterben.
Ich werde ihn vor Sonnenaufgang zu einem Krankenhaus bringen. Mit dem Rollstuhl meiner Mutter kann ich ihn zum Auto schaffen und dann zum St. Thomas fahren oder sogar bis nach Hampstead zum Royal Free. Das Krankenhaus in der Nähe kann ich nicht nehmen, das wäre zu gefährlich. Man könnte mich erkennen und festhalten. Und ich brauche Zeit, um unbemerkt wegzukommen. Bevor wir fahren, stelle ich ihn ruhig, das ist dank Gregs Rezept kein Problem mehr. Und ich packe ihn warm ein. Ich stelle ihn im Eingangsbereich des Krankenhauses ab, mit einem Zettel, man solle sich um ihn kümmern, und Helens Kontaktdaten.
Dann muss ich aus seinem Leben verschwinden. Nicht nur aus seinem. Ich muss auch Kit verlassen, um ihr die Schande zu ersparen, mit dem Verbrechen ihrer Mutter zu leben. So werden die Leute das sehen, was ich getan habe, das weiß ich. Und ich muss Greg verlassen, der fragen wird, wie und warum, der auf mich einreden und mir vorwerfen wird, ich sei wegen meiner »Depression« nicht zum Arzt gegangen. Und dann muss ich das Flusshaus verlassen.
Mir steigen Tränen in die Augen, als ich mir vorstelle, dass ich alles aufgeben muss. Kit, das Flusshaus und Jez in dieser wunderbaren Phase. Ich drücke seine Hand und lasse meine Tränen auf seinen Puls fallen.
Später wird mir klar, dass ich die Lage aus Müdigkeit verzerrt gesehen habe. Jez in ein Krankenhaus zu bringen, war weder nötig noch vernünftig. Denn jetzt, als sich die Oberlichter in der Morgendämmerung kaum merklich aufhellen, bin ich überzeugt, dass dies das Ende gewesen wäre.
K APITEL N EUNUNDZWANZIG
Montag
Sonia
Als ich später an diesem Morgen aufwache, nachdem ich irgendwann auf dem Stuhl eingeschlafen bin, taucht die Sonne das Musikzimmer in honigfarbenes Licht. Ich kann hören, dass Jez schon freier atmet. Er schläft immer noch tief, aber seine Wangen wirken etwas frischer. Zumindest für den Augenblick scheint er stabil zu sein. Ich gehe nach unten.
Um zehn Uhr kommt Simon für sein Stimmtraining. Er drückt mir ein kleines Päckchen aus Frischhaltefolie in die Hand.
»Das Gras für deine Mutter, Herzchen. Medizinisches Marihuana, genau wie bestellt.«
Ich hauche einen Kuss neben seine Wange. »Mein lieber, in die Jahre gekommener Drogendealer.«
»Gern geschehen, Sons. Den Preis kannst du mir von der Rechnung abziehen.«
Es ist Montag. Ich musste mit meinen Terminen weitermachen. Allzu lange darf ich nicht aussteigen, sonst wollen die Leute wissen, warum.
»Wir bleiben heute unten«, sage ich ihm, »in der Küche.«
»Ich dachte, du gehst mit mir lieber ins Musikzimmer.«
»Wir lassen da oben gerade renovieren. Die Dielen fehlen, es wäre zu gefährlich.« Auf diese Idee haben mich die Bauarbeiter gebracht, die am Samstag die Fenster vergittert haben.
»Wenn du zur Toilette musst, geh hier unten. Ich mache dir einen Kaffee. Setz dich.«
»Geht es dir denn wieder richtig gut, Süße? Wir haben uns alle Sorgen gemacht, du hättest die Schweinegrippe! Etwas müde wirkst du ja schon. Aber du siehst noch fabelhafter aus als sonst. Du hast abgenommen!«
»Etwas vielleicht.«
»Nicht dass du es nötig gehabt hättest. Eine Grippe zieht einem schon das Kinn straff, was ab einem gewissen Alter nicht schaden kann.«
»Simon!«
»Wenn man so alt ist wie ich, muss man was für sein Aussehen tun. Man darf es nicht mehr als selbstverständlich hinnehmen.« Simon nimmt Anstoß am Lauf der Zeit, als wäre Altern eine persönliche Beleidigung. »Ich bin fünfundfünfzig, Sonia! Das ist doch eine Farce! Wie kann ich, Simon Swavesy, fünfundfünfzig sein? Sehe ich so aus? Steht es mir ins Gesicht geschrieben?«
»Du siehst genauso aus wie bei unserem letzten Treffen.«
»Aber meine Wangen! Und ich bekomme ein Doppelkinn, ich weiß es genau.«
»Na, dagegen sind die Stimmübungen ja ganz gut«, sage ich und schenke ihm Kaffee ein. »Also an die Arbeit.«
Die Sonne scheint in der Küche auf die Fensterbank und verleiht dem
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