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Ich beschütze dich

Ich beschütze dich

Titel: Ich beschütze dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Penny Hancock
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helfen wollen, und wer könnte ihr das verübeln?
    Erst so allein, ohne einen Drink, konnte Helen ihre Gedanken und Gefühle ordnen. Die Suche nach Jez hatte sich als weitaus schwieriger erwiesen, als sie es sich je vorgestellt hätte. Sonias Theorie von einer Freundin war wegen seiner Beziehung zu Alicia unwahrscheinlich. Alicia war überzeugt davon, dass Jez ohne seine Gitarre nirgendwo hingegangen wäre, und sie kannte ihn am besten. Damit blieben drei Möglichkeiten. Er hatte einen Unfall gehabt, vielleicht am Fluss, und war noch nicht gefunden worden. Er war entführt worden. Oder – daran mochte sie gar nicht denken – er war ermordet worden. Aber es gab keine Leiche. Keine Hinweise. Helen knallte ihre Tasse auf die Untertasse. So kam sie nicht weiter. Nicht weiter, als die Polizei schon war. Obwohl die zumindest eine Verdächtige hatte.
    Mich, dachte sie.
    Die Befragung durch die Polizei gestern war schrecklich gewesen. Sie hatte noch einmal bestätigen sollen, wo sie am Freitagvormittag gewesen war, und hatte als Antwort nur das Dampfbad nennen können. Offensichtlich hatten sie ihr nicht geglaubt. Vielleicht hatten sie das schon überprüft. Aber statt es weiterzuverfolgen, hatten sie Helen nach dem College gefragt, für das Jez sich beworben hatte. Wie wichtig war es ihr gewesen, dass Barney dort einen Platz bekam? Hatte er noch etwas anderes in Aussicht? War sie böse, weil ihr Sohn durch Jez schlechtere Chancen hatte? Sie hatte erwähnt, sie würde sich ihrer Schwester und ihrem Neffen gegenüber unterlegen fühlen – hieß das, sie wäre fähig, ihm etwas anzutun?
    Helen wusste, dass die Polizisten sie gehen lassen würden. Sie hatten natürlich keine Beweise, würden sie auch nie haben. Aber es war an der Zeit, Bilanz zu ziehen. Sie durfte diese kindische Eifersucht auf ihre Schwester und die Unsicherheit wegen Mick nicht mehr an sich heranlassen. Es rückte Helen in ein unschönes, wenn nicht gar gefährliches Licht.
    Früher hatte sie nie unter mangelndem Selbstvertrauen gelitten oder unter derart heftigen Selbstzweifeln, die sie nun völlig unvermittelt überkamen. In dieser Woche hatte sie sich gefragt, wer Mick eigentlich war und ob sie ihn überhaupt kannte. Jetzt fragte sie sich, ob sie sich selbst kannte. Bei dieser ganzen Sache ging es um Jez. Ihren Neffen. Ihre eigenen Probleme durften nicht verschleiern, dass er möglicherweise in ernster Gefahr schwebte.
    Eine Frau mit einem Neugeborenen in einem Tragetuch ging vorbei, und als Helen sah, wie es das winzige Näschen gegen den Mantel der Frau drückte, erinnerte sie sich plötzlich und schrecklich deutlich an das erste Mal, als sie Jez gesehen hatte. Maria war überglücklich, das dunkelhaarige Baby an ihrer Brust schmatzte kaum hörbar mit den Lippen. Helen hatte ihre Schwester an dem Tag besucht, an dem Jez geboren wurde, zu Hause in dieser schönen Wohnung oben an der Croom’s Hill. Die Schwestern hatten nebeneinander auf dem Bett gesessen, an Kissen gelehnt, die Knie angewinkelt. Damals waren sie sich nah gewesen, als hätte sich mit Marias Schwangerschaft der Graben zwischen ihnen für eine Weile geschlossen. Von diesem Zimmer aus hatte man einen wunderbaren Blick auf den Fluss, der sich als silbernes Band in der Ferne zwischen den Industriehäfen zum Meer wand.
    Nach dem Stillen hatte Maria den winzigen Jungen Helen gereicht. Helen hatte ihn auf ihre angewinkelten Oberschenkel gelegt, mit dem Gesicht zu sich, seine winzigen, drallen Arme und Beine gebeugt, und er hatte sie mit diesen hypnotisierenden, dunklen Augen angesehen. Sie hatte eine überwältigende Liebe zu ihm verspürt, der nur gleichkam, was sie schon für ihre eigenen Söhne empfand. Es hatte ihr Tränen in die Augen getrieben. Damals hatte sie schon viele Neugeborene in den Armen gehalten, die meisten ihrer Freunde waren Eltern, aber eigenes Blut war etwas Besonderes, das ließ sich nicht leugnen. Jez war ihr kleiner Neffe, der Sohn ihrer eigenen Schwester, und sie liebte ihn. Sie liebte ihn immer noch. Natürlich. Es war unvorstellbar, dass ihm etwas Schlimmes zugestoßen sein könnte.
    Immer noch in Gedanken verließ sie das Café und lief durch die schmiedeeisernen Tore des Parks. Bei dem Schild mit der Aufschrift »Verkauf von Speiseeis nur mit Konzession« hörte sie, wie Theo es Jez vorlas, als wären sie direkt neben ihr. »Was ist denn eine ›Konzession‹?«, hatte Jez gefragt.
    »Genau!«, hatte Theo gesagt. »Wieso benutzen die so ein Wort?«
    Sie waren auf

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