Ich beschütze dich
ihn kümmere, was ich natürlich vorhabe, sollte es auch ohne Arzt gehen.
Nachdem ich meine Diagnose gestellt habe, bin ich noch eine Weile auf Google unterwegs, sehe mir diverse Seiten an und verliere mich im Netz. Ich klicke Nadias Skulpturen durch und folge dem Link zu der Seite, auf der sie Modroc für die schwangeren Torsos bestellt hat, von denen Helen erzählte. Spontan bestelle ich selbst etwas. Dann finde ich die Facebook-Seite, die Mick und Maria für Jez erstellt haben. Er lächelt mich an, das Gesicht fülliger, strahlender, mit Freunden, mit Erwachsenen, die ich noch nie gesehen habe, mit einer Gitarre und mit einer Reihe Mädchen. Ich ertrage es nicht, diese Bilder von Jez mit anderen Menschen, in einem anderen Leben zu sehen, und klicke schnell weg.
Als ich das nächste Mal nach oben gehe und nach ihm schaue, schläft Jez friedlich auf der Seite. Die Rolle Klebeband liegt auf dem Treppenabsatz, also hole ich sie, reiße ein Stück ab und wickle es ihm so lange um die Handgelenke, bis sie auf seinem Rücken sicher zusammengebunden sind. Ich gehe nach unten und überprüfe noch einmal die Schlösser und die Gitter vor den Fenstern. Sehe nach, ob die Eingangstür verriegelt ist. Die Tür auf der Flussseite ist ebenfalls mit einem Sicherheitsschloss und einem Riegel versperrt. Als besondere Vorkehrung habe ich die Vorhänge geschlossen, was ich mir in der Regel spare, weil wir nur auf den Fußweg und den Fluss blicken, und in der Küche die Jalousie heruntergezogen. Von außen muss das Haus verlassen aussehen, als wären wir weggefahren. Das Rohypnol, das Greg mir verschrieben hat, verstaue ich in der Küchenschublade, damit ich es Jez ins Glas werfen kann, falls es nötig werden sollte.
Jez ist wach, als ich wieder zu ihm gehe. Er beklagt sich, ihm würde immer noch alles wehtun.
»Was ist mit meinen Händen?« Aus seinem blassen Gesicht spricht Angst. Ich überlege, ob seine Krankheit in Verbindung mit dem Medikamentencocktail, den ich ihm einflößen musste, sein Gedächtnis durcheinandergebracht hat. Vielleicht erinnert er sich nicht mehr daran, dass er in der Garage festgebunden war. Es wäre schön, wenn das stimmte. Daran wollen wir uns beide nicht erinnern.
Ich setze mich auf das Bett und sehe ihn mit dem ganzen Mitgefühl in meinem Herzen an.
»Jez, ich glaube, ich kann dir vertrauen. Aber für deinen ersten Besuch unten habe ich eine kleine Vorsichtsmaßnahme getroffen. Wenn du mir gezeigt hast, dass du keine Dummheiten versuchst, kannst du mit freien Händen nach unten kommen. Versprochen.«
»Ich gehe nach unten? Wohin?«
Ich lächle. »In die Küche. Schau doch nicht so ängstlich. Wir werden den Nachmittag zusammen verbringen. Ich koche, und du kannst mit mir reden.«
»Ich bin immer noch hier?«
»Im Flusshaus, ja. Du bist noch hier. Es ist in Ordnung.«
»Aber ich gehe doch nach Hause, oder? Sie lassen mich gehen. Das haben Sie gesagt.«
Ich streiche ihm das Haar aus der Stirn.
»Natürlich gehst du nach Hause«, sage ich. »Bald schon, glaube ich. Sehr bald.«
K APITEL D REISSIG
Montag
Sonia
Der Nachmittag ist beinahe perfekt. Jez sitzt am Tisch, die Hände hinter dem Küchenstuhl, während ich koche. Ich hänge ihm die grün-weiße Decke um, damit er es warm hat. Die neu gefüllte Wärmflasche platziere ich unter der Decke auf seinem Schoß. Ich lege die CD von Jeff Buckley ein, und wir hören uns zusammen »Hallelujah« an.
Ich mache ihm einen Hot Toddy: Whisky mit Zitronensaft, Honig und heißem Wasser. Vorsichtshalber gebe ich ihm einen Plastikbecher statt eines Glases, auch wenn er ihn ohnehin nicht in die Hand nehmen kann und in kleinen Schlucken trinken muss, während ich ihm den Becher an die Lippen halte. Ich glaube nicht, dass er jetzt etwas Impulsives tun wird. Zwischen uns hat sich etwas verändert. Er versteht, dass ich ihn gesund pflege. Dass ich ihm wirklich nichts Böses will.
Ich wende Hähnchenstücke in Mehl für einen Auflauf, den wir zusammen essen können, wenn er nachher Hunger hat. Ich schneide Schalotten klein, brate sie in Olivenöl an und gebe Speck dazu. Beim Kochen werfe ich ihm einen Blick zu. Wahrscheinlich habe ich erwartet, ihn so wie an seinem ersten Tag zu sehen, entspannt, den Fuß locker an das Tischbein gelehnt, während er seinen Wein trinkt. Deshalb schockieren mich die Tränen, die stumm über seine Wangen laufen und in den Plastikbecher fallen. Ihm läuft auch die Nase, lange, schimmernde Fäden hängen von seiner Oberlippe
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